Totgeschwiegen
sicherlich gewinnen. Sie musste sich ab sofort von Kennedy fernhalten.
“Kennedy sieht dich an”, flüsterte ihre Mutter ihr fröhlich zu.
Grace küsste Heath aufs Haar und freute sich über die Funkenregen im Himmel über ihnen. Sie hatte das Gefühl, noch nie so glücklich gewesen zu sein, jedenfalls nicht mehr, seit ihre Mutter den schrecklichen Lee Barker geheiratet hatte. Leider war Molly nicht hier. Wenn sie auch gekommen wäre, hätte Grace sich gewünscht, dass das Feuerwerk nie zu Ende ging.
“Er scheint ja kein großes Geheimnis aus dem zu machen, was er sich wünscht”, kicherte Madeline. “Er guckt die ganze Zeit herüber.”
“Er schaut doch nur nach seinen Jungs”, erwiderte Grace.
Ihre Mutter schüttelte den Kopf. “Das kannst du mir doch nicht erzählen.”
“Wenn Kirk mich nur einmal so anschauen würde, würde ich ihn sofort heiraten”, sagte Madeline träumerisch.
“Wer guckt dich denn an, Grace?”, mischte Teddy sich ein.
“Niemand”, antwortete sie, aber Heath erwiderte gleichzeitig: “Daddy.”
Offenbar hatte Kennedys Ältester mehr mitbekommen, als er sollte. Sie warf Madeline über seinen Kopf hinweg einen warnenden Blick zu.
“Er findet sie hübsch”, sagte der Junge.
“Vielleicht heiratet er dich ja”, stimmte Teddy begeistert ein.
“Wir sind einfach nur befreundet”, sagte sie, obwohl sie wusste, dass genau das niemals möglich wäre. Aber immerhin hatte sie für eine Nacht alles gehabt, was sie sich wünschte, und das genügte. Jedenfalls glaubte sie das bis zum Ende des Feuerwerks. Sie fühlte sich seltsam leer, als es vorbei war und sie Heath und Teddy einen Abschiedskuss gab.
Die beiden rannten zu ihrem Vater hinüber, und sie zwang sich, in die andere Richtung zu schauen. Als dann alle zum Ausgang strömten, tauchte Kennedy wie zufällig neben ihr auf und drückte ihr eine zusammengefaltete Papierserviette in die Hand.
Sie steckte sie kommentarlos in die Tasche ihres Kleids. Rechts neben ihr standen die Vincellis und starrten sie an. Kaum hatte Madeline sie zu Hause aussteigen lassen, eilte sie ins Haus, holte die Serviette hervor und faltete sie hastig auseinander.
Komm rüber
, stand darauf.
Es war schon nach Mitternacht. Grace hielt ein Weinglas in der einen Hand und Kennedys knappe Botschaft in der anderen. Seit Stunden versicherte sie sich immer wieder, dass sie nicht hingehen wollte. Sie hatten eine Vereinbarung getroffen. Die vergangene Nacht war das einzige Zugeständnis an ihre wahren Gefühle. Sie wusste, dass sie Kennedy und seinen Söhnen einen Gefallen tat, wenn sie sich weigerte, die Beziehung weiterzuführen. Sie wusste aber auch, dass sie womöglich nicht genug Willenskraft dafür aufbrachte. Das, was letzte Nacht geschehen war, hatte sich nicht angefühlt, als würde etwas zu Ende gehen. Es hatte sich angefühlt wie ein Anfang.
Die Uhr schlug halb eins und riss sie aus ihren Gedanken. Sie würde hingehen, und das wusste sie auch. Aber sie musste vorsichtig sein. Joe könnte wieder vor ihrem Haus lauern, wie er es letzte Nacht getan hatte. Sie wollte unbedingt vermeiden, dass er mitbekam, was sie vorhatte.
Sie nahm ihre Handtasche und ihre Schlüssel und ging nach draußen. Sie ging einmal ums Haus, konnte aber niemanden im Garten oder bei der Garage entdecken. Auch die Auffahrt war leer. Sie stieg in ihren Wagen und wartete einige Minuten, ob er vielleicht mit dem Auto vorbeikam.
Ein paar Straßen weiter sausten noch immer einige verspätete Feuerwerksraketen in die Luft. Aber von Joe war nirgendwo etwas zu sehen.
Er konnte sie ja auch nicht vierundzwanzig Stunden lang ununterbrochen beobachten. Außerdem war er so verletzt, dass er bestimmt viel lieber zu Hause im Bett blieb.
Sie rügte sich selbst dafür, so paranoid zu sein, und startete den Motor. Als sie auf die Straße einbog, entschied sie, dass sie nicht direkt vor Kennedys Haus anhalten wollte. Sie würde ihren Wagen ein Stück weiter entfernt parken und den Rest zu Fuß gehen.
Kennedys Haus wirkte ziemlich einschüchternd. Das dreistöckige Gebäude mit dem Türmchen über dem ausladenden Dach war sehr gut gepflegt. Es war das schönste Haus in Stillwater und auch das Älteste, wenn man einmal vom Postgebäude absah.
Grace hatte das Gefühl, nicht dort hinzugehören. Durfte sie das Haus überhaupt betreten? Beinahe hätte sie sich umgedreht und wäre weggelaufen, dabei hatte sie schon die Veranda erreicht. Sie musste an Raelynn denken. Dies war doch ihr Haus.
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