Totgeschwiegen
“Was auch immer es ist, sie glaubt jedenfalls, dass er es irgendwo vergraben hat. Sie hat gehofft, mir würde vielleicht irgendetwas dazu einfallen. Aber das macht doch keinen Sinn. Wenn er damit die Unschuld von Grace beweisen kann, warum sollte er es dann verstecken?”
Kennedy würde so etwas niemals verstecken, dachte Joe. Dafür gäbe es keinen Grund. Er
wollte
schließlich, dass sie unschuldig war.
Er würde vielmehr etwas verstecken, das ihre Schuld bewies …
Mit einem Mal spürte Joe sein Herz bis zum Hals pochen. Jetzt erst wurde ihm die Tragweite dessen klar, was Buzz gerade gesagt hatte. Kennedy war im Besitz von etwas, das Joe unbedingt brauchte!
Joes Gehirn arbeitete fieberhaft. Wo konnte Kennedy einen solchen Beweis versteckt haben? Bei sich zu Hause? In seinem Auto?
Nein. Buzz hatte gesagt, es sei vergraben. Aber wo?
Die Schlange bewegte sich vorwärts, und Joe ging mit. Dann erstarrte er.
Vergraben?
Aber natürlich! Das war es also, was Grace und Kennedy im Wald zwischen dem Campingplatz und dem See gemacht hatten!
Auf einmal erinnerte er sich wieder an den kleinen Hügel im Wald, nicht weit von den Waschräumen des Campingplatzes entfernt. Ein Gefühl der Erleichterung durchströmte ihn. Dort war es vergraben, genau dort! Er hätte am liebsten laut losgelacht. Gerade in dem Moment, als er das Gefühl hatte, alles sei verloren, hatte ihm ausgerechnet Kennedys Mutter alles in die Hand gegeben, um die Montgomerys endgültig zu vernichten – und Kennedy womöglich auch.
“Joe?”, fragte Buzz erstaunt.
Joe riss sich zusammen und bemühte sich, Gelassenheit zu zeigen. “Was?”
“Alles okay?”
“Hör zu, mir platzt gleich der Schädel. Ich geh schnell nach Hause und nehme ein paar Aspirin.”
“Das Feuerwerk hat doch noch gar nicht angefangen. Willst du nicht noch ein bisschen warten?”
“Nein, ich muss los.” Joe interessierte sich nicht im Geringsten für das Feuerwerk. Wenn er am See irgendetwas fand, würde das eigentliche Feuerwerk nicht ohne ihn beginnen.
19. KAPITEL
T eddy und Heath entdeckten Grace, kurz bevor es losging. Kennedy erlaubte ihnen, sich zu ihr zu setzen, weil er wusste, dass sie so lange darum betteln würden, bis er einlenkte. Für die beiden Jungs war Grace sehr schnell zum Mutterersatz geworden. Eigentlich waren Grace und Raelynn sich überhaupt nicht ähnlich, aber in ihrem einfühlsamen Umgang mit Kindern glichen sie einander sehr. Auch Grace behandelte die beiden nicht von oben herab oder wie Plagegeister, sondern hörte ihnen ernsthaft zu und ging auf ihre Gedanken und Gefühle ein. Und genau das war es, was seine Söhne brauchten.
Nach seiner Auseinandersetzung mit Joe wäre es Kennedy lieber gewesen, das Gerede hätte sich beruhigt, bevor er Teddy und Heath wieder Kontakt mit Grace aufnehmen ließ. Er hatte den Vincellis ohnehin schon viel zu viele Möglichkeiten geliefert, gegen ihn vorzugehen. Nur würde Grace nicht mehr sehr lange hier sein. Wenn der Sommer vorbei war, ging sie nach Jackson zurück. Wie sollte er es vor sich und seinen Jungs rechtfertigen, wenn er ihnen für die kurze Zeit, die noch blieb, den Umgang mit ihr verbot?
Außerdem war er ja selbst gern mit ihr zusammen. Zwar hatte er versucht, sich davon zu überzeugen, dass ein paar Stunden in ihren Armen ihm genügten, doch das hatte sich als Trugschluss erwiesen. Was letzte Nacht geschehen war, hatte alles nur noch schwieriger gemacht. Nun geisterten auch noch diese erotischen Bilder durch seinen Kopf, und diese Bilder ließen sich nicht einfach ein- und ausschalten, sondern kamen und gingen, wie sie wollten. Er musste daran denken, wie Grace auf seine Stöße reagierte hatte, als sie sich liebten, an ihr Lächeln, als er seine Finger über ihren nackten Körper gleiten ließ. Ihre flatternden Augenlider an seinen Wangen, als sie in seinen Armen gelegen hatte. Wenn seine Eltern nicht neben ihm gesessen und sich einige enge Freunde und Nachbarn dazugesellt hätten, wäre er wahrscheinlich aufgestanden und zu den Montgomerys hinübergegangen.
“Werden wir denn genug Geld zusammen haben, um den neuen Flügel für die Grundschule zu bauen?”, fragte Tom Greenwood Kennedys Vater. Sie sprachen schon seit einigen Minuten über wichtige städtische Angelegenheiten. Normalerweise war Kennedy an diesen Gesprächen sehr interessiert. Er hatte genaue Vorstellungen davon, was mit der Schule passieren sollte, und hätte eine Menge dazu sagen können. Aber heute Abend konnte er nur an
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