Touched
Weile, bis ich das Taubheitsgefühl aus meinen Gliedern gerieben hatte. Leider kamen damit auch die Schmerzen zurück.
Beim dritten Versuch schaffte ich es endlich, mich auf den Beinen zu halten. Ich krümmte mich leicht, um dem dumpfen Schmerz an meiner Seite entgegenzuwirken. Dean machte die Tür auf, sah sich um und verließ dann rückwärts das Zimmer, während ich auf ihn zuschlurfte. Mit seinen weißen Wänden und den geschlossenen Türen dachte ich bei dem leeren Flur an ein verlassenes Wohnheim. Im Waschraum nebenan befanden sich eine Dusche, eine Toilette, ein Waschbecken und ein kleines Fenster. Dean erlaubte mir nicht, dass ich die Tür ganz schloss.
Meine Jeans und mein T-Shirt waren blutverkrustet, und als ich mir im Waschbecken meine Hände schrubbte, färbte sich auch das Wasser blutrot. In dem kleinen Spiegel über dem Becken erhaschte ich einen Blick in mein Gesicht. Eine Blutspur zog sich von der Schläfe bis zum Kinn, aber ihre Quelle – die Schnittwunde von Deans Stiefel – war, wie er bemerkt hatte, verschwunden. Ein taktischer Fehler meinerseits.
Nachdem ich mir mit den Papierhandtüchern, so gut es ging, das Gesicht gewaschen hatte, benutzte ich die Toilette, auch wenn es mir peinlich war, dass Dean auf der anderen Seite der halb geschlossenen Tür alles mitanhören konnte. Als ich wieder meine Hände wusch, fiel mir eine kleine Notiz auf, die mit Tesafilm an den Spiegel geklebt war – eine Liste mit Regeln und Vorschriften für Gäste, die sich in der Jugendherberge des Fort Rowden State Parks aufhielten. Unverzüglich erinnerte ich mich an das lange, rechteckige Gebäude mit seinen Gemeinschaftsräumen im ersten Stock und den Privaträumen im Erdgeschoss. Ben hatte im Vorbeifahren erwähnt, dass die Herberge im Winter kaum belegt sei, da in den kälteren Monaten nur wenige Touristen ihren Weg nach Blackwell Falls fanden. Aus den Räumen von unten waren keine Geräusche heraufgedrungen, aber über uns hörte man nun nicht nur Schritte, sondern auch Stimmen.
Hilfe war also nur einen Schrei entfernt! Gerade wollte ich den Knebel herausnehmen, als Dean die Tür aufdrückte und mir befahl, ins Zimmer zurückzukehren.
Er blieb gelassen, fast freundlich, als er mich anwies, meine Füße festzubinden. Er hielt mir die Waffe an den Kopf und fesselte mir die Hände, ohne mich dabei direkt zu berühren. Anstatt sich aufzurichten, verweilte er, während er hinter mir kniete.
»Wie funktioniert das, Remy?«, fragte er mit sanfter Stimme, bei der sich mir die Nackenhaare aufstellten. »Deine Mutter hat ja scheinbar nicht gewusst, was du alles drauf hast. Erklär’s mir mal. Ich verletze dich, und du lenkst den Schmerz um 180 Grad zu mir zurück? Läuft das so?«
Mit dem Lauf seines Revolvers fuhr er, wie in einer Art Liebkosung, von meiner Schulter meinen bloßen Arm hinunter, und ich erschauderte. Da ich geknebelt war, erwartete erwohl keine Antwort, und ich hielt meinen Blick starr auf die Wand gegenüber gerichtet.
Dean ging um den Stuhl herum, holte sich vom Bett die Flasche aus der Papiertüte, öffnete sie und trank gierig einen Schluck. Er wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab und sah mich dabei mit seinen blassblauen Augen an. »Na, und was mach ich jetzt mit dir? Niemand hat mitbekommen, wie ich dich gestern Abend hierhergebracht habe, aber über kurz oder lang kriegen die Leute, bei denen ich mich angemeldet habe, durch die Warnungen im Radio und Fernsehen raus, wer ich bin. Die Polizei sucht nach uns. Wir können nicht bleiben, wir können nicht gehen. Erzähl mir also … was, zum Teufel, mach ich mit dir?«
Er schüttelte den Kopf, als würde ihn der Schluss, zu dem er gekommen war, traurig stimmen. »Vielleicht sollte ich dich den Beschützern übergeben, die scheinen ja ganz wild darauf zu sein, dich in die Finger zu kriegen. Möglicherweise zahlen die sogar eine saftige Summe für dich!«
Er hatte sich also die restliche Aufnahme auf dem iPod angehört. Ich gab einen gurgelnden Laut von mir, und er zog den Knebel aus meinem Mund. Meine Zunge kam mir riesig vor, und ich brachte erst nach zwei Versuchen mühsam etwas zwischen meinen trockenen, geschwollenen Lippen heraus.
»Das kannst du nicht tun!«
»Ach nein?« Er grinste schief.
»Die würden mich nicht einfach nur töten, du Trottel! Die würden jeden umbringen, der zu mir in Verbindung steht, dich eingeschlossen!«
Meine Wangenknochen explodierten, als mir Dean mit dem Handrücken ins Gesicht schlug. Meine
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