Toxin
allerdings trotz der wenigen geparkten Autos mehr los, als sie erwartet hatte. Kaum hatte sie die Tür passiert, als sie fast mit einer Rentnergruppe zusammenstieß, die gerade ihre Variante von Power-Walking demonstrierte. Tracy flüchtete in einen Geschäftseingang, um nicht überrannt zu werden. Auf dem Weg ins Zentrum der Mall vermied sie jeden Blick auf die Eisbahn; sie hatte Angst, Becky vor sich zu sehen.
Bei Connolly Drugs herrschte wie immer reger Betrieb. Vor dem Schalter für rezeptpflichtige Medikamente standen mehr als zwanzig Kunden Schlange. Tracy machte eine schnelle Runde durch das Geschäft, konnte Kim aber nirgends sehen. Als sie ein zweites Mal durch den Laden streifte, entdeckte sie ihn in der Abteilung für Haarpflegeprodukte. In einer Hand hatte er eine Schachtel mit einer elektrischen Haarschneidemaschine, in der anderen Hand hielt er eine Tragetasche mit der Aufschrift eines bekannten Modegeschäfts.
»Da bist du ja«, rief er. »Du kommst gerade recht. Kannst du mir ein Haarfärbemittel empfehlen? Ich habe beschlossen, mir die Haare blond zu färben.«
Tracy sah ihren Ex-Mann überrascht an. »Ist alles okay mit dir?«
»Ja, warum fragst du?« entgegnete Kim, ohne den Blick von dem riesigen Angebot an Haarfärbemitteln abzuwenden. »Hab’ ich dich richtig verstanden?« hakte Tracy nach. »Du willst dir die Haare färben?«
»So ist es«, bestätigte Kim. »Und zwar nicht nur ein bißchen heller, sondern richtig blond.«
»Kim, das ist verrückt«, sagte Tracy. »Du weißt es. Und wenn nicht, mache ich mir ernsthaft Sorgen um dich.«
»Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen«, versuchte Kim sie zu beruhigen. »Ich schnappe nicht über - falls du das meinst. Ich will nur mein Äußeres verändern, damit ich unerkannt ein paar Nachforschungen anstellen kann.« Tracy packte Kim an der Schulter und drehte ihn zu sich. Dann beugte sie sich vor und starrte sein Ohrläppchen an. »Was ist das denn?« fragte sie. »Du trägst ja einen Ohrring!«
»Schön, daß es dir auffällt«, freute sich Kim. »Ich war schon vor dir hier. Da habe ich mir schon mal einen Ohrring besorgt. Sieht doch ziemlich abgedreht aus, oder? Ein Leder-Outfit habe ich mir auch zugelegt.« Er hob seine Einkaufstüte hoch. »Und wofür brauchst du die Haarschneidemaschine?« fragte Tracy.
»Die ist für dich«, erwiderte Kim. »Damit sollst du mir einen neuen Schnitt verpassen.«
»Ich habe noch nie jemandem die Haare geschnitten. Das weißt du doch.«
»Macht nichts«, entgegnete Kim und lächelte. »Du sollst einen Skinhead aus mir machen.«
»Das ist grotesk!«
»Je grotesker, desto besser«, sagte Kim. »Ich will auf keinen Fall erkannt werden.«
»Und warum?« fragte Tracy.
»Weil ich bei Kelly Anderson war und sie sich weigert, uns zu unterstützen, solange ich ihr keine hieb- und stichfesten Beweise liefere«, erwiderte Kim. »Was für Beweise denn?« fragte Tracy.
»Beweise für die Vorwürfe, die Kathleen Morgan und Marsha Baldwin gegen die Fleischindustrie und das Landwirtschaftsministerium erheben«, erwiderte Kim.
»Und wie soll dir deine Verkleidung helfen, an derartige Beweise zu kommen?« wollte Tracy wissen. »Sie wird mir hoffentlich helfen, einen Job zu kriegen«, erwiderte Kim. »Marsha Baldwin hat mir erzählt, daß Schlachthäuser wie Higgins und Hancock keine Besucher dulden. Aber sie meinte, ich hätte gute Chancen auf einen Job, wenn ich wie ein illegaler Einwanderer aussähe. Mit meinem neuen Outfit versuche ich natürlich nicht unbedingt, wie ein illegaler Einwanderer auszusehen. Ich will lediglich, daß man mich für einen Typen hält, der sich dringend ein paar Dollar verdienen muß.«
»Wie bitte? Du willst dich bei Higgins und Hancock um einen Job bemühen - nachdem man dich dort um ein Haar umgebracht hätte?«
»Ich hoffe natürlich, daß der Personalchef nicht selbst der Messermann ist«, entgegnete Kim.
»Das ist ganz und gar nicht witzig«, ereiferte sich Tracy. »Ich kann deine Idee absolut nicht gutheißen! Erst recht nicht, wenn sich deine Befürchtungen um Marsha bestätigen.«
»Wenn sie mich erkennen würden, wäre mein Vorhaben vielleicht tatsächlich ein bißchen riskant«, gestand Kim. »Deshalb muß ich mich ja gut tarnen. Marsha hat mir erzählt, daß Higgins und Hancock ständig Arbeitskräfte suchen, weil sie so dick im Geschäft sind. Ich gehe einfach mal davon aus, daß sie nicht besonders wählerisch sind.«
»Mir stehen die Haare zu Berge, wenn ich
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