Toxin
Menschenmenge im Vorraum und weiter durch den überfüllten Warteraum. Als sie fast den Tresen passiert hatten, hinter dem die Schwestern ihre Schreibarbeit erledigten, versperrte ihnen eine der Schwestern den Weg. Sie sah aus wie Brunhilde aus dem Nibelungenlied. Kim und Becky konnten unmöglich an ihr vorbei. Auf ihrem Namensschild stand: Molly McFadden. Sie war so groß wie Kim und sah ihm direkt in die Augen.
»Tut mir leid«, sagte Molly. »Sie können hier nicht allein weitergehen. Sie müssen sich erst bei der Aufnahme anmelden.« Kim wollte sie einfach ignorieren, doch Molly wich nicht von der Stelle.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte Kim. »Ich bin Dr. Reggis. Ich arbeite hier im Krankenhaus, und ich muß meine Tochter untersuchen lassen.«
Molly lachte kurz auf. »Und wenn Sie der Papst persönlich wären«, entgegnete sie patzig. »Jeder, und damit meine ich ausnahmslos jeder, hat sich bei der Aufnahme anzumelden, es sei denn, er wird von den Sanitätern auf einer Bahre reingerollt.«
Kim war so perplex, daß es ihm für einen Moment die Sprache verschlug. Er konnte es einfach nicht fassen, daß die Schwester sich nicht nur seinem Wunsch widersetzte, sondern ihn auch noch offen herausforderte. Entgeistert starrte er in ihre angriffslustig funkelnden blauen Augen. Trotz ihres weißen Kittels wirkte sie so bedrohlich wie ein Sumo-Ringer. Falls sie mitbekommen haben sollte, daß er zur Ärzteschaft gehörte, gab sie das jedenfalls durch nichts zu verstehen. »Je schneller Sie sich anmelden, Doktor«, fügte Molly hinzu, »desto früher wird man Ihre Tochter untersuchen.«
»Sie haben mich also offenbar doch verstanden«, stellte Kim fest. »Ich bin leitender Arzt in diesem Krankenhaus. Ich arbeite in der Herzchirurgie.«
»Natürlich habe ich Sie verstanden«, entgegnete Molly. »Aber offenbar haben Sie mich nicht richtig verstanden.« Kim starrte die Frau an, doch sie ließ sich nicht beirren. Tracy merkte, daß es nichts brachte, weiter mit der Schwester zu verhandeln. Da sie zudem das Temperament ihres Ex-Mannes kannte, nahm sie es selbst in die Hand, die Situation zu entschärfen.
»Komm, mein Schatz«, wandte sie sich an Becky und führte sie zurück in Richtung Eingang. »Wir tun, was die Schwester sagt und melden uns an.«
Kim warf Molly einen weiteren finsteren Blick zu. Dann drehte er sich um, folgte Tracy und Becky und reihte sich mit ihnen in die Schlange der Otto-Normal-Patienten ein, die sich vor der Anmeldung gebildet hatte. Innerlich war er kurz vorm Überkochen. »Ich werde mich über diese Frau beschweren«, wütete er. »So eine Unverschämtheit lasse ich mir nicht bieten! Was für eine Frechheit! Ich kann es nicht glauben!«
»Sie macht nur ihren Job«, entgegnete Tracy. Sie wollte den Zwischenfall am liebsten auf sich beruhen lassen und war erleichtert, daß Kim keine Szene gemacht hatte. »Ach, so siehst du das?« fuhr Kim sie an. »Willst du sie etwa auch noch in Schutz nehmen?«
»Nun beruhige dich doch!« entgegnete Tracy. »Sie befolgt wahrscheinlich nur die Vorschriften. Du glaubst doch nicht, daß sie sich das gerade aus den Fingern gesogen hat, oder?« Kim schüttelte den Kopf. Sie rückten ein paar Zentimeter vor. Im Moment war der Aufnahmeschalter nur mit einer Angestellten besetzt. Sie war dafür zuständig, sämtliche relevanten Informationen in das Aufnahmeformular einzutragen; unter anderem mußte sie klären, wie und ob die Patienten versichert waren, wenn sie nicht bei AmeriCare versorgungsberechtigt waren.
Plötzlich verzog Becky vor Schmerz das Gesicht und preßte sich leise wimmernd die Hände auf den Bauch. »Was ist los?« fragte Kim.
»Was soll schon los sein?« entgegnete Tracy. »Sie hat wieder einen Krampf.«
Auf Beckys Stirn bildeten sich große Schweißperlen, und sie wurde kreidebleich. Anstatt etwas zu sagen, sah sie ihre Mutter nur flehend an.
»Es ist gleich wieder vorbei«, versuchte Tracy sie zu beruhigen und strich ihr übers Haar. Mit der anderen Hand wischte sie ihr den Schweiß aus dem Gesicht. »Möchtest du dich hinsetzen?«
Becky nickte.
»Halt du die Stellung!« forderte Tracy Kim auf. Kim sah den beiden nach. Sie steuerten einen der Plastikstühle an der Wand an, wo Becky sich hinsetzte. Da sie hin und wieder nickte, ging er davon aus, daß Tracy mit ihr sprach. Als wieder etwas Farbe in Beckys Gesicht war, gesellte Tracy sich wieder zu Kim. »Wie geht es ihr jetzt?« fragte Kim.
»Im Augenblick wieder etwas besser«, erwiderte
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