Toxin
was hat sie gesagt?«
»Nur, daß du sie zurückrufen sollst.«
»Okay, danke«, murmelte Kim. Er griff zum Hörer und wählte Tracys Nummer.
»Ich gehe jetzt zu meinem Aerobic-Kurs«, sagte Ginger. Kim bedeutete ihr durch ein Handzeichen, daß er verstanden hatte.
»Du kannst mich ja später anrufen«, fügte Ginger hinzu. Kim nickte, und Ginger schloß die Tür. Am anderen Ende der Leitung meldete sich Tracy. »Was ist los?« fragte Kim ohne Einleitung. »Beckys Zustand hat sich verschlechtert«, erwiderte Tracy. »Wieso? Was ist mit ihr?«
»Die Krämpfe sind so schlimm geworden, daß sie vor Schmerzen weint. Außerdem hat sie Blut im Stuhl.«
»Welche Farbe?« wollte Kim wissen.
»Wie, zum Teufel, soll ich das denn verstehen?« fragte Tracy zurück.
»Hellrot oder dunkelrot?« konkretisierte Kim seine Frage. »Gelbgrün«, erwiderte Tracy ungehalten. »Ich meine es ernst«, sagte Kim. »Ist das Blut hellrot oder eher dunkel, beinahe braun?«
»Hellrot«, erwiderte Tracy. »Wieviel?«
»Woher soll ich das wissen?« Tracy war genervt. »Sie hat eben Blut im Stuhl, und es ist rot und macht mir angst. Reicht das nicht?«
»Bei Durchfall kann das schon mal vorkommen«, versuchte Kim sie zu beruhigen.
»Es gefällt mir aber nicht«, erklärte Tracy. »Okay, was willst du tun?«
»Das fragst du mich?« fuhr Tracy ihn ungläubig an. »Ich dachte, du bist der Arzt!«
»Vielleicht sollte ich George Turner in Boston anrufen«, schlug Kim vor.
»Und wie soll der ihr aus fast zweitausend Kilometern Entfernung helfen?« wandte Tracy ein. »Ich möchte, daß sie untersucht wird! Und zwar noch heute abend.«
»Ist ja schon gut«, entgegnete Kim. »Reg dich nicht auf!« Er zögerte einen Augenblick und dachte nach. Seitdem George Turner nach Boston gegangen war, hatte er in der näheren Umgebung keinen Kontakt mehr zu irgendeinem Kinderarzt. Er überlegte kurz, ob er einen der flüchtig mit ihm befreundeten Internisten bitten sollte, sich Becky einmal anzusehen, doch dann verwarf er die Idee wieder. Irgendwie erschien es ihm übertrieben, wegen eines leichten, ein paar Tage anhaltenden Durchfalls abends einen Kollegen zu stören, selbst wenn der Durchfall mit einer Spur von hellrotem Blut durchsetzt war.
»Wie wär’s, wenn wir uns im University Medical Center in der Notaufnahme treffen?« schlug Kim vor. »Wann?«
»Wann kannst du denn da sein?« fragte Kim. »In einer halben Stunde, schätze ich«, erwiderte Tracy. »Okay, dann bis gleich«, sagte Kim.
Da die Rush-hour schon vorbei war und er für den Weg zum Krankenhaus nur zehn Minuten brauchte, nutzte er die verbleibenden zwanzig Minuten, um möglichst viele seiner noch anstehenden Telefonate zu führen. In der Notaufnahme angekommen, stellte er fest, daß Tracy noch nicht da war. Er ging zur Aufnahmerampe und wartete. Während er dort stand, fuhren etliche Krankenwagen mit heulenden Sirenen vor. Die Sanitäter brachten eilig Patienten ins Krankenhaus, die dringend ärztlich versorgt werden mußten. Einer der Patienten mußte während des Transportes wiederbelebt werden. Kim sah den Helfern hinterher und wurde ein wenig nostalgisch; die Szene erinnerte ihn an seine Assistenzarztzeit, in der er sehr hart gearbeitet hatte. Damals hatte er jede Menge Lob eingeheimst. Viele hatten ihn für einen der besten jungen Ärzte gehalten, die je die Chirurgenausbildung durchlaufen hatten. Er wollte gerade sein Handy hervorholen und Tracy anrufen, als er ihren Volvo Kombi um die Ecke biegen und anhalten sah. Mit einem Satz war er auf dem Bürgersteig und eilte zu dem Wagen. Als die Türen sich öffneten, ging er zur Beifahrerseite und half Becky beim Aussteigen. Sie begrüßte ihn mit einem schwachen Lächeln.
»Wie geht’s dir, mein Schatz?« fragte Kim. »Mein Bauch tut so weh«, erwiderte sie. »Darum kümmern wir uns jetzt«, versprach Kim und sah Tracy an, die gerade das Auto umrundete. Sie wirkte noch genauso wütend wie am Abend zuvor.
Kim führte die beiden zur Aufnahmerampe und die sechs Stufen hinauf. Dann öffnete er die Schwingtür, und sie betraten das Krankenhaus.
In der im Mittleren Westen gelegenen, ständig wachsenden Großstadt war die Notaufnahme des University Medical Centers weit und breit die größte. Sie war völlig überfüllt und wirkte wie ein zentraler Busbahnhof. Wegen des Rückstaus vom Wochenende herrschte an Montagabenden besonders viel Hektik.
Den Arm um sie gelegt, führte Kim Becky an der Hauptaufnahme vorbei durch die
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