Toxin
Farbe angenommen. Becky schämte sich und fühlte sich hundeelend. Tracy war der Verzweiflung nahe. Kim schäumte noch immer vor Wut.
»Ich kann es einfach nicht glauben«, brauste er plötzlich auf. »Das gibt es doch gar nicht! Jeden Augenblick denke ich, daß wir endlich aufgerufen werden, aber nichts passiert!« Er warf einen Blick auf die Uhr. »Wir warten jetzt schon eineinhalb Stunden.«
»Da siehst du mal, wie es im wirklichen Leben zugeht«, kommentierte Tracy. »Darüber hätte Kelly Anderson in ihrem Beitrag über die Krankenhauszusammenlegung berichten sollen«, ereiferte sich Kim. »Es ist doch absurd, daß AmeriCare die Notaufnahme im Samaritan Hospital geschlossen hat, um Kosten zu sparen, und jetzt alle hierherkommen müssen. Denen geht es doch nur darum, noch mehr Geld zu verdienen.«
»Und den Patienten noch mehr Unannehmlichkeiten zu bereiten«, fügte Tracy hinzu.
»Stimmt«, bestätigte Kim. »AmeriCare will die Leute offenbar davon abhalten, in die Notaufnahme zu kommen.«
»Das hätte ihnen kaum besser gelingen können«, stellte Tracy fest.
»Ich kann es einfach nicht fassen, daß mich von all den Angestellten hier nicht einer kennt«, klagte Kim. »Das gibt es doch gar nicht! Ich bin doch, zum Teufel noch mal, der bekannteste Herzchirurg in dieser Riesenklinik.«
»Kannst du nicht irgend etwas tun?« drängte Tracy. »Becky fühlt sich so elend.«
»Okay«, erwiderte Kim und stand auf. »Ich versuche es noch einmal.«
»Aber verlier nicht gleich wieder die Beherrschung!« ermahnte sie ihn. »Dadurch wird alles nur noch schlimmer.«
»Kann es denn noch schlimmer werden?« entgegnete Kim. Er verließ den Wartebereich und steuerte auf den Schwesterntresen zu. Nach ein paar Schritten hörte er die heulende Sirene eines Krankenwagens. Einen Augenblick später sah er hinter der Glastür des Haupteingangs ein blinkendes rotes Licht. Die Sirene verstummte, und die Tür wurde aufgestoßen. Notarzthelfer rollten mehrere blutende, auf Bahren liegende Menschen herein. Vermutlich waren sie Opfer eines Verkehrsunfalls.
Kim fragte sich, ob die Einlieferung dieser Patienten wohl für Becky bedeutete, daß sie noch länger warten mußte. Er ging auf den Tresen zu und hielt nach Molly McFadden Ausschau, doch zum Glück konnte er sie nirgends entdecken. Im Moment waren nur zwei Angestellte am Platz: eine Sekretärin, die telefonierte und dabei emsig Laborwerte notierte, und eine Schwester, die gerade Schreibarbeiten erledigte und dabei Kaffee trank. Auf ihrem Namensschild stand: Monica Hoskins, Krankenschwester Notaufnahme. Er riß sich zusammen und zwang sich ruhig zu bleiben. Dann klopfte er auf den Tresen, um jemanden auf sich aufmerksam zu machen.
»Guten Abend«, begrüßte er die Schwester, als sie aufsah. »Kennen Sie mich vielleicht?«
Monica kniff die Augen ein wenig zusammen und musterte ihn.
»Nein, ich glaube nicht«, erwiderte sie. »Sollte ich?«
»Ich bin Chirurg und arbeite auch in diesem Krankenhaus«, erklärte Kim. »Aber im Moment bin ich mit meiner Tochter hier, und wir warten schon seit mehr als eineinhalb Stunden. Könnten Sie mir vielleicht sagen, wann sie dran ist?«
»Heute abend herrscht bei uns Hochbetrieb«, entgegnete Monica. »Liegt vor allem an den Autounfällen. Wie heißt Ihre Tochter denn?«
»Rebecca Reggis«, erwiderte Kim.
Monica zog einen Stapel Aufnahmeformulare zu sich heran, benetzte mit der Zunge die Spitze ihres Zeigefingers und blätterte flink die Seiten durch.
»Da ist sie ja«, sagte sie und zog ein Blatt heraus. Sie überflog, unter welchen Beschwerden Becky litt, und sah dann mit hochgezogenen Brauen zu Kim auf.
»Zwei Tage anhaltender Durchfall«, stellte sie fest. »Klingt nicht gerade nach einem dringenden Notfall.« Kim hob den Behälter mit der Stuhlprobe hoch, damit die Schwester ihn sehen konnte. »Sie hat Blut im Stuhl.« Monica beugte sich vor. »Sieht nicht wie Blut aus.«
»Als die Probe frisch war, war es deutlich zu sehen«, entgegnete Kim. »Außerdem macht sich Beckys Mutter große Sorgen.«
»Wir rufen Ihre Tochter so schnell wie möglich auf«, erklärte Monica unverbindlich und schob Beckys Aufnahmeformular wieder in den Stapel zurück. »Mehr kann ich Ihnen nicht versprechen.«
»Jetzt passen Sie mal auf«, entgegnete Kim mit bemüht kontrollierter Stimme. »Als Angehöriger der Krankenhausbelegschaft erwarte ich, daß man mir ein kleines bißchen entgegenkommt. Und da wir jetzt schon ziemlich lange warten, möchte ich,
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