Toxin
Allerdings scheint sie ziemlich unter der transnasalen Magensonde zu leiden. Weißt du, wann sie entfernt werden kann?«
»Sobald ihr Magen-Darm-System wieder normal funktioniert«, erwiderte Kim. »Hoffentlich ist das bald«, seufzte Tracy. »Ich habe heute morgen mit Dr. Turner telefoniert«, berichtete Kim.
»Und?« wollte Tracy wissen.
»Er meint, daß sie bei Dr. Stevens und Dr. Morgan in guten Händen sei«, erwiderte Kim. »Vor allem wenn tatsächlich HUS diagnostiziert werden sollte. Seiner Meinung nach wäre Becky in einer anderen Klinik auch nicht besser aufgehoben.«
»Das ist beruhigend zu wissen.«
»Ich bleibe jetzt erst mal hier«, schlug Kim vor. »Ich muß mich dringend um einige Patienten kümmern; vor allem um die, die morgen für die OP vorgesehen sind. Ich hoffe, du hast nichts dagegen.«
»Nicht im geringsten«, entgegnete Tracy. »Ich finde, das ist eine gute Idee.«
»Es ist mir einfach unmöglich, rumzusitzen und nichts zu tun«, erklärte Kim.
»Kann ich gut verstehen«, versicherte Tracy. »Tu, was du zu tun hast. Ich bin ja hier, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.
»Ruf mich an, wenn sich irgend etwas verändert«, bat Kim.
»Versprochen«, entgegnete Tracy. »Du erfährst es als erster.« Kurz vor neun traf Ginger ein. Kim bat sie, so viele Patienten wie möglich abzubestellen, da er vorhatte, am Nachmittag noch einmal ins Krankenhaus zu fahren. Ginger erkundigte sich nach Becky und meckerte ein bißchen, weil er sich am Abend nicht mehr bei ihr gemeldet hatte. Sie war enttäuscht gewesen und hatte sich die ganze Nacht Sorgen gemacht, sich aber nicht getraut anzurufen. Kim berichtete ihr, daß sich Beckys Zustand nach der Operation ein wenig gebessert habe. Außerdem erklärte er ihr, daß er erst nach Mitternacht nach Hause gekommen sei, zu spät also, um noch anzurufen.
Anfangs fiel es ihm schwer, sich auf seine Patienten zu konzentrieren, doch er riß sich zusammen. Schließlich zahlte sich seine Anstrengung aus, und gegen Mittag fühlte er sich schon ein wenig entspannter. Doch jedesmal wenn das Telefon klingelte, begann sein Herz zu jagen.
Da er keinen Hunger hatte, lag das Sandwich, das Ginger in der Mittagspause mitgebracht hatte, unangetastet auf seinem Schreibtisch. Statt zu essen, vertiefte er sich lieber in die Probleme seiner Patienten. Auf diese Weise konnte er sich von seinen eigenen ablenken.
Irgendwann am Nachmittag, als er mit einem Kardiologen aus Chicago telefonierte, steckte Ginger den Kopf durch die Tür. Ihr Gesichtsausdruck verriet ihm, daß etwas nicht stimmte. Er legte die Hand auf die Muschel.
»Tracy hat gerade angerufen«, flüsterte Ginger. »Sie war ziemlich aufgelöst. Beckys Zustand hat sich verschlechtert. Sie ist auf die Intensivstation verlegt worden.« Kims Herz begann zu rasen. Er beendete auf der Stelle sein Telefonat und legte auf. Dann streifte er sich sein Jackett über, nahm die Autoschlüssel und rannte zur Tür. »Was soll ich mit den restlichen Patienten machen?« fragte Ginger.
»Schick sie nach Hause«, erwiderte Kim kurz angebunden. Er fuhr konzertiert, überholte, wo immer er konnte, und versuchte so schnell wie möglich durch das nachmittägliche Verkehrschaos zu kommen. Zwar hatte er vor kurzem selber dafür plädiert, Becky auf die Intensivstation zu verlegen, doch nachdem es jetzt tatsächlich geschehen war, machte er sich furchtbare Sorgen. So hautnah, wie er die Sparpläne von AmeriCare in letzter Zeit zu spüren bekommen hatte, war ihm eins völlig klar: Becky war nicht aus prophylaktischen Gründen verlegt worden. Ihr Zustand mußte bedenklich sein. Um keine Zeit zu verlieren, fuhr er nicht auf den Ärzteparkplatz, sondern hielt direkt unterhalb der Krankenhausauffahrt. Er sprang aus dem Auto und warf dem überraschten Mann vom Sicherheitsdienst seine Autoschlüssel zu. Während der Fahrstuhl entsetzlich langsam zur Intensivstation hinauffuhr, trat er nervös von einem Bein aufs andere. Auf dem von Besuchern überfüllten Flur bahnte er sich zielstrebig seinen Weg. Schließlich erreichte er den Warteraum für Familienangehörige, wo er Tracy entdeckte. Als sie ihn sah, sprang sie auf und lief ihm entgegen.
Voller Verzweiflung umklammerte sie ihn. Sie erdrückte ihn fast und ließ ihn eine ganze Weile nicht mehr los. Schließlich schob er sie vorsichtig einen Schritt zurück und sah ihr in die Augen. Sie weinte.
»Was ist passiert?« fragte er. Er hatte Angst vor der Antwort. »Es geht ihr schlechter«, brachte
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