Toxin
Augenblick nur abraten.«
»Das andere große Problem sind ihre Thrombozyten«, meldete sich Dr. Ohanesian zu Wort. Der Blutexperte war ein grauhaariger, älterer Mann, den Kim auf über siebzig schätzte. »Die Anzahl ihrer Blutplättchen ist so stark gesunken, daß wir beschlossen haben, sie zu ersetzen - trotz des damit verbundenen Risikos. Ansonsten könnte sie bald schwere Blutungen bekommen.«
»Ihre Leber ist auch nicht in Ordnung«, erklärte Dr. Stevens. »Die Leberenzyme sind stark angestiegen, woraus wir schließen…«
Kim schaltete ab. Er war so entsetzt, daß er nicht mehr imstande war, die Informationen aufzunehmen. Er sah die Ärzte sprechen, hörte sie aber nicht mehr. Wieder durchlebte er den schrecklichen Alptraum und sah Becky in der gefährlichen, tosenden See um ihr Leben kämpfen.
Eine halbe Stunde später verließ Kim benommen die Intensivstation und steuerte den Warteraum an. Tracy stand auf, als sie ihn erblickte. Er sah aus wie ein gebrochener Mann. Für einen Augenblick sahen sie sich in die Augen. Diesmal war Kim derjenige, der seine Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Tracy ging zu ihm, und sie fielen sich vor Angst und Kummer in die Arme.
Kapitel 11
Freitag, 23. Januar
Kim gönnte sich eine kurze Verschnaufpause und warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz vor zwei. Er kam gut voran. Dies war der letzte seiner drei Fälle.
Er wandte sich wieder der tiefen Wunde zu. Das Herz war vollkommen freigelegt. Er traf die notwendigen Vorbereitungen, um den Patienten an die Herz-Lungen-Maschine anschließen zu können. Sobald er damit fertig war, konnte das Herz angehalten und geöffnet werden; dann würde er die beschädigte Herzklappe ersetzen.
Der nächste Schritt war besonders kritisch: Um die Koronararterien zu versorgen, mußte er eine arterielle Infusionskanüle in die Aorta legen. Durch diese Kanüle würde dann die Kardioplegielösung eingeführt werden, die das Herz mit ihrem hohen Kaliumgehalt zum Stillstand bringen, kühlen und während der Operation versorgen würde. Der arterielle Druck stellte dabei das größte Problem dar. »Skalpell«, sagte Kim.
Die OP-Schwester gab ihm das Skalpell in die Hand. Kim ließ das scharfe Instrument in die Wunde hinabgleiten und richtete es auf die Aorta. Seine Hand zitterte, und er fragte sich, ob Tom es gemerkt hatte.
Blitzschnell ließ er das Skalpell in die Aorta fahren und bedeckte den Einschnitt sofort mit der Spitze seines linken Zeigefingers, damit die Wunde so wenig wie möglich blutete. Das bißchen Blut, das hervortrat, wischte Tom weg. »Arterielle Infusionkanüle«, forderte Kim. Die Schwester reichte ihm die Kanüle. Er führte sie in die Wunde und positionierte sie neben seinem Finger, wobei er den Einschnitt weiterhin zudrückte. Dann ließ er die Spitze der Kanüle unter seinen Finger gleiten und versuchte, sie in das pulsierende Gefäß zu schieben. Doch aus irgendeinem Grund wollte die Kanüle die Gefäßwand nicht durchdringen. Auf einmal spritzte Blut aus der Wunde.
Kim geriet in Panik, was ihm eigentlich nie passierte. Immer mehr Blut ergoß sich in die Wunde. In seiner Hektik schob er die Kanüle zu kräftig und verletzte die Aorta, wodurch sich die Öffnung vergrößerte. Jetzt war der Einschnitt zu groß, um die knollige Spitze der Kanüle zu umschließen. Das Blut spritzte in sein Gesicht und lief an seiner Plastikmaske ab. Plötzlich galt es, eine chirurgische Notsituation zu meistern. Zum Glück bekam Kim seine Panik wieder unter Kontrolle; jetzt machte sich seine langjährige Erfahrung bemerkbar. Er griff mit der linken Hand in die Wunde, und sein Finger fand das Loch in dem pulsierenden Gefäß blind. Er drückte es zu und brachte die Blutung teilweise zum Stillstand. Tom saugte schnell so viel Blut ab, daß Kim die Wunde einsehen konnte. »Nahtmaterial!« brüllte Kim.
Die Schwester drückte ihm einen Nadelhalter mit einem schwarzen Seidenfaden in die Hand. Geschickt zog er die Spitze der Nadel durch die Gefäßwand. Nach ein paar weiteren Stichen war das Loch geschlossen.
Kim und Tom sahen sich an. Die Notsituation war erfolgreich bewältigt. Tom schaute ihn fragend an, und Kim nickte. Zur Überraschung des Teams verließen die beiden Chirurgen den Operationstisch.
»Was hältst du davon, wenn ich die Operation zu Ende bringe?« flüsterte Tom. Der Vorschlag war nur für Kims Ohren bestimmt. »Jetzt hätte ich Gelegenheit, mich für deine Hilfe vor ein paar Wochen zu revanchieren,
Weitere Kostenlose Bücher