Toxin
Sie nicht das Gesundheitsamt ein?« schlug Marsha vor.
»Eine gute Idee«, erwiderte Kim. »Das werde ich am Montag auf jeden Fall tun. Aber ich habe, ehrlich gesagt, keine große Hoffnung, auf diesem Weg weiterzukommen. Wahrscheinlich müßte ich mich lediglich mit einem anderen bürokratischen Apparat herumschlagen, und bestimmt würde alles viel zu lange dauern. Außerdem würde ich die Sache lieber selbst in die Hand nehmen. Auf diese Weise könnte ich wenigstens irgend etwas für meine Tochter tun - wo ich ihr schon medizinisch nicht helfen kann.«
»Ich riskiere meinen Job, wenn ich Ihnen die Informationen beschaffe«, sagte Marsha. »Ich könnte natürlich auch meinen Vorgesetzten ansprechen. Das Problem ist nur, daß wir nicht gerade ein gutes Arbeitsverhältnis haben.«
»Meinen Sie den Bezirksleiter, von dem Sie eben gesprochen haben?« fragte Kim.
»Ja«, erwiderte Marsha. »Sterling Henderson.«
»Mir wäre es lieber, wenn wir beide die Sache regeln könnten.« Kim war ganz offen.
»Sie haben gut reden«, entgegnete Marsha. »Schließlich setze ich meinen Job aufs Spiel - und nicht Sie.«
»Haben Sie schon mal ein Kind gesehen, das sich mit diesem Kolibakterienstamm infiziert hat?« fragte Kim. Er hatte plötzlich eine Idee. »Ich frage Sie, weil ich vorher auch noch nie mit dieser Krankheit in Berührung gekommen bin, obwohl ich Arzt bin. Ich hatte zwar schon mal etwas darüber gelesen, aber die Krankheit selbst war immer etwas Abstraktes für mich, nicht mehr als eine Art statistische Angabe.«
»Nein«, gestand Marsha. »Ich habe noch nie mit eigenen Augen so ein infiziertes Kind gesehen.«
»Dann begleiten Sie mich!« schlug Kim vor. »Sehen Sie sich meine Tochter an! Danach entscheiden Sie, was Sie tun, und ich verspreche Ihnen, daß ich Ihre Entscheidung akzeptiere, egal wie sie ausfällt. Selbst wenn Sie beschließen sollten, nichts zu unternehmen, wissen Sie dann wenigstens ein bißchen besser, wie wichtig Ihre Arbeit ist.«
»Wo ist Ihre Tochter denn jetzt?« fragte Marsha. »Im University Medical Center«, erwiderte Kim. »In dem Krankenhaus, in dem ich arbeite.« Er zeigte auf ihr Handy, das in einer Ablage zwischen den beiden Vordersitzen lag. »Rufen Sie im Krankenhaus an, wenn Sie mir nicht glauben. Mein Name ist Reggis. Dr. Kim Reggis. Und meine Tochter heißt Becky Reggis.«
»Ich glaube Ihnen«, erklärte Marsha. Sie war hin- und hergerissen. »Wann wollen Sie hinfahren?«
»Sofort«, erwiderte Kim. »Kommen Sie. Mein Auto steht da drüben.« Er zeigte über seine Schulter nach hinten. »Ich kann Sie mitnehmen. Später bringe ich Sie wieder zu Ihrem Wagen.«
»Auf keinen Fall! Ich kenne Sie doch gar nicht.«
»Okay«, entgegnete Kim. Die Idee, Marsha mit zu Becky ins Krankenhaus zunehmen, gefiel ihm immer besser. »Dann fahren Sie hinter mir her. Ich wollte Ihnen nur die Suche nach einem Parkplatz ersparen. Aber egal. Sie folgen mir einfach auf den Ärzteparkplatz. Was halten Sie davon?«
»Ich würde sagen, Sie können ganz schön hartnäckig sein, wenn Sie jemanden überzeugen wollen«, erwiderte Marsha. »Auf geht’s!« rief Kim und reckte zur Betonung die geballte Faust. »Ich fahre eine Schleife, und dann folgen Sie mir.«
»Okay«, willigte Marsha ein wenig skeptisch ein. Auf was hatte sie sich da nur eingelassen?
Jack Cartwright hatte seine Nase gegen die Fensterscheibe gepreßt. Er hatte Kim nicht aus den Augen gelassen und die Unterhaltung zwischen ihm und Marsha Baldwin von Anfang bis Ende verfolgt. Natürlich hatte er kein Wort verstanden, aber ihm war nicht entgangen, daß Marsha Kims Auto gefolgt war, nachdem die beiden sich offenbar über irgend etwas einig geworden waren.
Er verließ den Empfangsbereich und eilte den Hauptflur entlang, über den er auch Kim geführt hatte. Doch diesmal stieg er nicht die Treppe zum Besichtigungsgang hinauf, sondern ging weiter bis zum Ende des Flurs. Dort befanden sich die Büros von Mercer Meats.
»Ist der Chef da?« fragte er eine der Sekretärinnen. »Natürlich«, erwiderte sie, ohne ihr Tippen zu unterbrechen. Cartwright klopfte an die geschlossene Tür seines Chefs. »Kommen Sie doch rein, zum Teufel!« forderte ihn eine dröhnende Stimme auf.
Everett Sorenson leitete die Firma Mercer Meats seit beinahe zwanzig Jahren mit großem Erfolg. Unter seiner Führung war das Unternehmen von Foodsmart aufgekauft und die nagelneue Anlage errichtet worden. Sorenson war groß und noch stämmiger als Jack Cartwright. Sein
Weitere Kostenlose Bücher