Toxin
keine. Schließlich machen die ihnen sowieso nur Ärger.«
»Aber was haben die Schlachthöfe denn zu verbergen?« fragte Kim.
»Vor allem ihre Schlacht- und Arbeitsmethoden«, erwiderte Marsha. »Selbst unter den besten Umständen ist es kein schöner Anblick. Aber nachdem in den Achtzigern die einschränkenden Bestimmungen abgeschafft wurden, haben alle Schlachthöfe ihre Produktion beschleunigt. Mit anderen Worten - sie verarbeiten mehr Tiere pro Stunde. Manche Schlachthäuser schleusen in der Stunde zweihundertfünfzig bis dreihundert Tiere durch. Bei so einem Tempo kann eine Verseuchung nicht ausgeschlossen werden. Sie ist definitiv unvermeidbar. Es ist sogar schon vorgekommen, daß Firmen das Landwirtschaftsministerium verklagt haben, weil Kontrolleure mit Kolibakterien infiziertes Fleisch offiziell als verseucht bezeichnet haben.«
»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!«
»Glauben Sie mir«, entgegnete Marsha. »Es ist so.«
»Wollen Sie mir erzählen, die Industrie weiß, daß das Fleisch mit Kolibakterien verseucht ist?« fragte Kim entsetzt. »Und daß einfach behauptet wird, man könne nichts dagegen tun?«
»Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen«, erwiderte Marsha. »Natürlich ist nicht alles Fleisch verseucht, sondern nur ein Teil.«
»Aber das ist unglaublich!« empörte sich Kim. »Über diese Zustände muß die Öffentlichkeit unbedingt informiert werden! Das darf doch nicht so weitergehen! Ich muß mir unbedingt ansehen, wie in einem Schlachthof gearbeitet wird.«
»Genau deshalb sind Besucher in Schlachthöfen keine gerngesehenen Gäste«, entgegnete Marsha. »Man würde Sie nie und nimmer reinlassen. Das heißt - das stimmt nicht ganz. Schlachten ist sehr arbeitsintensiv, deshalb haben Schlachthöfe ständig Personalmangel. Wenn Sie also mal keine Lust mehr haben sollten, als Herzchirurg zu arbeiten, hätten Sie dort wahrscheinlich gute Karten, einen neuen Job zu bekommen. Wobei sich Ihre Chancen natürlich verbessern würden, wenn Sie ein illegaler Einwanderer wären. Dann könnte man Ihren Lohn nämlich unter den Mindestlohn drücken.«
»Klingt ja nicht gerade toll, wie Sie über die Schlachthäuser reden«, bemerkte Kim.
»Aber es ist wahr. Wer will schon im Schlachthof arbeiten? Die Arbeit ist extrem hart. Deshalb hat das Management schon immer auf Immigranten gesetzt. Heute kommen die Arbeiter vor allem aus Lateinamerika, insbesondere aus Mexiko. Früher kamen sie meistens aus Osteuropa.«
»Das hört sich ja alles furchtbar an«, stellte Kim fest. »Ich verstehe gar nicht, warum ich mir darüber nie Gedanken gemacht habe. Ich esse schließlich auch Fleisch, also bin ich in gewisser Weise mitverantwortlich.«
»So sieht die Kehrseite des Kapitalismus nun mal aus«, entgegnete Marsha. »Nicht daß Sie mich falsch verstehen - ich bin bestimmt keine radikale Sozialistin. Aber ein krasseres Beispiel dafür, daß Profit größer geschrieben wird als Moral, gibt es nicht: Reine Geldgier verleitet die Unternehmen dazu, alle Folgen außer acht zu lassen. Diese Mißstände waren es übrigens, die mich im Gegensatz zu meiner Freundin veranlaßt haben, die Stelle beim Landwirtschaftsministerium anzutreten, denn das Ministerium könnte einiges ändern.«
»Vorausgesetzt, die Verantwortlichen wollen auch etwas ändern«, schränkte Kim ein.
»Da haben Sie natürlich recht«, stimmte Marsha ihm zu. »Wenn ich Sie richtig verstehe, haben wir es also mit einer Industrie zu tun, die ihre Arbeitskräfte ausbeutet und ohne Gewissensbisse jedes Jahr Hunderte von Kindern tötet.« Kim schüttelte fassungslos den Kopf. »Wenn ich mir vor Augen halte, daß diese Leute keine Moral kennen, mache ich mir wirklich Sorgen um Sie.«
»Wie meinen Sie das?« fragte Marsha.
»Sie haben doch vor, Higgins und Hancock unter Vorspiegelung falscher Tatsachen einen Besuch abzustatten«, erwiderte Kim. »Sie wollen Ihre Kennkarte vom Ministerium vorzeigen und so tun, als kämen Sie in offiziellem Auftrag.«
»Natürlich, sonst würden sie mich niemals reinlassen.«
»Meinen Sie nicht auch, daß Sie da ein großes Risiko eingehen?« fragte Kim. »Diese Leute sind doch bestimmt extrem sicherheitsbewußt. Und diesmal spiele ich nicht darauf an, daß Sie Ihren sicheren Job aufs Spiel setzen.«
»Ich weiß, worauf Sie hinauswollen«, entgegnete Marsha. »Es ist nett, daß Sie sich solche Sorgen um mich machen, aber mir wird schon nichts passieren. Was können sie schon machen? Sie können sich höchstens bei
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