Toxin
Sicherheit als Bedrohung empfanden.
»Jetzt übertreib mal nicht!« sagte Marsha laut zu sich selbst. Mit plötzlicher Entschlossenheit nahm sie ihr Handy aus der Autohalterung und prüfte, ob der Akku geladen war.
»Auf geht’s«, machte sie sich Mut.
Es regnete heftiger, als sie gedacht hatte. Sie rannte zum Angestellteneingang und versuchte, die Tür zu öffnen, doch sie war abgeschlossen. Neben der Tür sah sie einen Knopf und ein kleines Hinweisschild mit der Aufschrift: Nach Geschäftsschluss. Sie klingelte.
Sie wartete eine halbe Minute, und als nichts geschah, klingelte sie noch einmal und klopfte zusätzlich mit der Faust gegen die massive Tür. Sie wollte schon zu ihrem Auto zurückgehen und sich ihr weiteres Vorgehen überlegen, als die Tür aufgerissen wurde. Ein mit einer braun-schwarzen Uniform bekleideter Mann vom Sicherheitsdienst sah sie verwirrt an. Offenbar kreuzten bei Higgins und Hancock nicht oft unangekündigte Besucher auf.
Marsha zeigte ihm die Kennkarte des Landwirtschaftsministeriums und versuchte an dem Mann vorbei in das Gebäude zu gelangen. Doch er tat keinen Schritt zur Seite, so daß sie gezwungen war, im Regen stehenzubleiben. »Bitte zeigen Sie mir die Karte noch einmal!« forderte der Mann sie auf.
Marsha reichte ihm die Kennkarte. Er prüfte sie sorgfältig und sah sich sogar die Rückseite an.
»Ich bin Fleischkontrolleurin und arbeite für das Landwirtschaftsministerium«, erklärte Marsha und fügte verärgert hinzu: »Finden Sie es eigentlich in Ordnung, mich hier im Regen stehenzulassen?«
»Was wollen Sie?« fragte der Mann.
»Wozu sind Kontrolleure wohl da?« fragte Marsha zurück. »Ich möchte überprüfen, ob bei Higgins und Hancock die Vorschriften eingehalten werden.«
Der Mann trat einen Schritt zurück und ließ sie eintreten. Sie wischte die Tropfen von der Stirn und schüttelte sie dann von der Hand ab.
»Außer den Reinigungskräften ist im Moment niemand da«, sagte der Mann.
»Aha«, entgegnete Marsha. »Würden Sie mir bitte meine Kennkarte zurückgeben?«
Der Wächter reichte ihr die Karte. »Wohin gehen Sie?«
»Ins Büro der Ministerialmitarbeiter«, erwiderte Marsha. Sie marschierte festen Schrittes und ohne sich umzudrehen los. Die Reaktion des Wächters verwunderte sie. Ihr wurde immer mulmiger zumute.
Bobby Bo Mason zog die mit Mahagoni getäfelte Tür der Bibliothek zu. Schlagartig war von dem Gelächter und dem Stimmengewirr nichts mehr zu hören. Dann drehte er sich zu seinen Kollegen um, die wie er alle ihre besten Smokings trugen. Sie repräsentierten nahezu alle Unternehmen der Stadt, die in irgendeiner Weise mit Rindfleisch oder Rindfleischprodukten zu tun hatten: Rinderzüchter, Schlachthof-Geschäftsführer, Direktoren von fleischverarbeitenden Betrieben und Leiter der Fleischdistribution. Einige der Männer hatten auf dem mit dunkelgrünem Samt bezogenen Stühlen Platz genommen, andere standen und hielten ihre Champagnergläser vor der Brust. Die Bibliothek war einer von Bobby Bos Lieblingsräumen. Er führte gerne seine Gäste hierher, um sich ihre Komplimente darüber anzuhören. Die Wände und Decken waren komplett mit altem brasilianischem Mahagoni verkleidet. Auf dem Boden lag ein zweieinhalb Zentimeter dicker, alter Täbris. Seltsamerweise gab es in der »Bibliothek« kein einziges Buch.
»Machen wir’s kurz«, begann Bobby Bo. »Dann können wir uns um so schneller wieder den wichtigeren Dingen des Lebens widmen.« Einige Männer lachten. Bobby Bo liebte es, im Mittelpunkt zu stehen und freute sich schon auf seine ein Jahr währende Amtszeit als Präsident des Amerikanischen Rindfleischverbandes.
»Es geht um Miss Marsha Baldwin«, fuhr Bobby Bo fort, als er sicher war, daß ihm alle Anwesenden aufmerksam zuhörten. »Entschuldigen Sie bitte«, meldete sich eine Stimme. »Ich möchte dazu etwas sagen.«
Bobby Bo richtete seine Aufmerksamkeit auf Sterling Henderson, der sich von seinem Platz erhob. Er war ein ziemlich großer Mann mit derben Gesichtszügen und silbern schimmerndem Haar.
»Ich möchte mich gleich vorweg entschuldigen«, erklärte Henderson. »Ich habe vom ersten Tag an versucht, diese Frau zu zügeln, aber sie läßt sich einfach nichts sagen.«
»Wir sind uns alle darüber im klaren, daß Ihnen die Hände gebunden sind«, versicherte Bobby Bo. »Wir haben diese kleine Versammlung auch keineswegs einberufen, um Sie zur Rechenschaft zu ziehen, falls Sie das befürchten sollten. Wir sind hier, um
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