Tränen aus Gold
dachte, ihr wärt beisammen«, stieß er hervor und blickte sich um.
Maxim deutete auf die Spuren, die zu den Bäumen führten. »Sie kommt gleich wieder.«
Nikolaus betrachtete die kleinen Fußabdrücke. Maxim, der Ausflüchte hasste, erklärte schulterzuckend: »Ich konnte nicht gut zulassen, daß das Mädchen allein durch den Schnee stapft. Sie wollte ihr Kleid nicht ruinieren, da bot ich ihr Hilfe an.«
Nikolaus, den die Kühnheit des Freundes verstimmte, zog den Pelzkragen seines Umhanges enger um den Hals. »Diesen Dienst hätte ich ihr auch erweisen können.«
»Du bist selbst rasch im Wald verschwunden«, erinnerte Maxim ihn. »Die Dame war in Bedrängnis.«
Der Kapitän hatte sich noch immer nicht beruhigt. »Du brauchst nicht auf sie zu warten. Ich bringe Elise selbst zum Schlitten zurück.«
»Wie du willst«, erwiderte Maxim gelassen.
Mißmutig sah Nikolaus ihm nach. Die Ungewissheit, wie Elise zu ihm stand, ließ ihn daran zweifeln, ob es klug gewesen war, Maxim als Begleitung mitzunehmen. Er war nicht so naiv, die Anziehungskraft Maxims und seine Vorliebe für Frauen zu unterschätzen. Aber solange die beiden ständig stritten, hatte er sich in Sicherheit gewiegt.
Elise war enttäuscht, als sie aus dem Dickicht kam und der Hansekapitän sie anstelle Maxims erwartete. Das plötzliche Schuldgefühl, das sie in seiner Gegenwart empfand, bedrückte sie sehr. Sie wußte, daß sie Nikolaus davon abbringen mußte, weiter um ihre Gunst zu werben, hatte jedoch Hemmungen, ihre Gefühle für Maxim einzugestehen. Da sie aber Nikolaus' Freundschaft schätzte, wollte sie die Zurückweisung möglichst zartfühlend und taktvoll gestalten. Sie fand jedoch nicht die richtigen Worte, und da ihr nichts Besseres einfiel, sagte sie: »Es sieht aus, als hätte der Schneefall nachgelassen.«
Nikolaus sah hinauf in den verhangenen Himmel und meinte: »Ich glaube, es wird noch eine Weile schneien.« Dann wandte er sich ihr zu. »Ich bin gekommen, um Euch zum Schlitten zu tragen, mein Fräulein.«
»Ach, nicht nötig«, beeilte Elise sich zu versichern. Sie zögerte, einen solchen Dienst von ihm in Anspruch zu nehmen, besonders da sie eine Gelegenheit suchte, seine Zuneigung zu bremsen. »Ich bin gut zu Fuß.«
»Es täte mir leid, wenn Euer Gewand durch den Schnee in Mitleidenschaft gezogen würde«, wandte er ein und trat einen Schritt näher.
Ein Schnauben durchdrang die Waldesruhe. Elise spähte angestrengt zwischen den Bäumen hindurch und erkannte Maxim, der seinen schwarzen Hengst hinter sich am Zügel führte. Erleichtert atmete sie auf.
»Die Männer sind zum Aufbruch bereit«, berichtete Maxim, als Nikolaus ihn fragend ansah. »Sie wollen wissen, ob sie vorausreiten und die Straße sichern oder den Schlitten begleiten sollen. Sie warten auf deine Anweisungen. Wir könnten ein Stück des Weges neben dem Schlitten reiten«, bemerkte Maxim mit einem Blick über die Schulter, als er Elise in den Sattel hob.
Das Ross tat einige tänzelnde Schritte, so daß Nikolaus ausweichen mußte. Er zügelte seinen wachsenden Ärger und schwieg, auch als er mit ansehen mußte, wie Elise, umfangen von Maxims Armen, davonritt.
»Ich hätte es nicht ertragen, wenn ein anderer dich in den Arm genommen hätte«, flüsterte Maxim ihr zu.
Elise legte die Hand auf seinen Arm. Sie war nahe daran, ihm anzuvertrauen, mit welcher Erleichterung sie sein Kommen aufgenommen hatte. »Nikolaus ist mir ein guter Freund geworden. Ich möchte nicht, daß er gekränkt wird.«
»Elise, wenn du ihn liebst, dann sag es mir, und ich werde mich zurückziehen. Du schuldest mir kein Wort der Erklärung. Wenn aber das zutrifft, was ich zu spüren glaube, und zwischen uns etwas im Wachsen ist, dann ist eine freundliche Aussprache zu diesem Zeitpunkt besser als eine verspätete Entschuldigung.«
17
Die Trave und die von Hansebürgern einige Jahrhunderte zuvor angelegten Befestigungen machten Lübeck zu einer Hafenstadt, die nur schwer einnehmbar war. Vor den Stadtmauern hielten die dicken Zwillingstürme des Holstentores Wache, dessen Kanonen jede Annäherung eines Gegners verhinderten. Unter einem Himmel, der im Sonnenuntergang glühte, schimmerte die Stadt wie ein juwelenbesetztes Geschmeide. Steile Dächer und hohe Kirchtürme reflektierten die letzten Sonnenstrahlen und warfen Farbtupfer in die Dämmerung.
»Lübeck, unser aller Haupt!« rief Nikolaus, als sich die kleine Schar hoch zu Ross den Stadttoren näherte. »Die Königin unter den
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