Tränen aus Gold
würde diesem dreisten Engländer zeigen, daß man mit Nikolaus von Reijn so nicht umspringen konnte.
27
In London herrschte große Unruhe. Wenn schon nicht vor, so ganz gewiß nach der Gefangennahme des Hansekapitäns und seiner Besatzung, die man nach Newgate in den Kerker schaffte. Und wenn auch nicht in der ganzen Stadt, so ganz gewiß in jenem kleinen Bereich des Hafens, wo Elise Andrew Sinclair zurechtwies und ihrer Empörung über die zu ihrem angeblichen Schutz begangene Ungerechtigkeit lautstark Luft machte. »Ihr seid nicht mein Beschützer! Ihr seid ein Verleumder ehrenhafter Männer! Ich werde nicht ruhen, bis Kapitän von Reijn und seine Leute wieder auf freiem Fuß sind und Ihr Euch entschuldigt habt, das könnt Ihr mir glauben! Und wenn ich bis zur Königin gehen muß, um dieses Unrecht aus der Welt zu schaffen!«
In ungezügeltem Zorn entriss sie ihm ihren Arm, als Sinclair sie zu einem wartenden Boot geleiten wollte. »Von Euch will ich nichts außer der Freilassung von Reijns! Laßt mich in Ruhe!«
Mangels beschwichtigender Argumente blieb Sinclair nichts anderes übrig, als sie der Obhut des Bootsführers zu übergeben und peinlich berührt zu warten, bis Spence einen Seemann gefunden hatte, der Eddy und die Stute nach Bradbury bringen würde, während Fitch das Gepäck der Dame ins Boot schaffte. Die zwei Diener ließen sich hinter der aufgebrachten Elise nieder und wagten den so Gescholtenen kaum anzusehen, während sie ihren Gedanken nachhingen und überlegten, wie weit jemand wohl gehen mochte, um einen Unschuldigen in den Kerker zu bringen. Nur gut, daß Lord Seymour die Überfahrt nicht mit ihnen gemacht hatte, denn für sie stand fest, daß man ihn auf der Stelle in Ketten gelegt und ohne Verzug in den Tower gebracht hätte.
Es verging einige Zeit, bis die Segelbarke an den Uferstufen festmachte, die zum Anwesen Sir Ramsey Radbornes führten. Das Gepäck wurde ausgeladen und der Fährmann bezahlt. Dann trug man die Kisten zur Tür. Captain Sinclair hatte Elise eröffnet, daß ihr Onkel mit seiner gesamten Familie gegenwärtig das Haus bewohnte. Sie nahm diese Nachricht gelassen auf; sie war fest entschlossen, die Sache ihres Mannes rasch vor die Königin zu bringen, damit Maxims Ehre wiederhergestellt würde und er seinen Besitz wieder zugesprochen bekäme.
Beklommen näherte Elise sich dem Haus, aus dem sie einst in wilder Panik geflüchtet war. Wäre eine Audienz bei Elizabeth nicht so dringend erforderlich gewesen, sie wäre nach Bradbury Hall weitergereist, ohne sich erst im Stadthaus aufzuhalten. Fitch und Spence bedeuteten einen gewissen Schutz für sie, und sie wollte Cassandra keine Gelegenheit geben, sie wieder gewaltsam festzuhalten.
Die geräumige Halle war hell erleuchtet. Leises Gemurmel drang aus dem großen Gemach im Erdgeschoß, und einen Augenblick lang glaubte Elise, einige Worte ihres Onkels herauszuhören, doch war alles zu leise und zu undeutlich.
»Meiner Seel! Die junge Herrin ist da!« Der Ausruf kam von einer älteren Hausmagd, die am oberen Treppenabsatz innehielt.
Die Dienerschaft kam von überall herbeigelaufen und versammelte sich staunend in der Halle. Scheu blickten sie Elise an. Niemand wagte, sich ihr zu nähern. Elise, der diese Zurückhaltung zu denken gab, ging langsam durch die Halle. Das Gespräch im großen Gemach war verstummt, und jetzt fühlte sie sich von allen Seiten aufmerksam beobachtet. Schließlich war es die kleine, alte Haushälterin Clara, die gebückt auf sie zu humpelte und sie begrüßte.
Elise erwiderte ihre herzliche Begrüßung. Sie wußte nur zu gut, daß diese schmächtige Person oft Leib und Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um ihr gegen Cassandra und ihre Söhne zu helfen. »Sind mir Hörner und ein Schweif gewachsen?« fragte Elise erstaunt. »Was ist denn mit euch allen?«
»Ach, es ist Eure Tante Cassandra«, flüsterte Clara. »Sie wohnt jetzt hier mit Eurem Onkel… als seine Gemahlin.«
Bestürzt wich Elise zurück und starrte in das verhunzelte Gesicht der Alten. Edward Stamford konnte nicht so töricht gewesen sein, sich mit Cassandra zu vermählen. »Clara, sag, daß das nicht wahr ist.«
»Doch, es ist die Wahrheit«, versicherte ihr die Haushälterin. »Die beiden haben sich nach Eurer Entführung vermählt. Euer Onkel wurde bei der Königin vorstellig, um den Marquis von Bradbury der Entführung anzuklagen und auf seine Gefangennahme zu drängen. In dieser Zeit besuchte Cassandra Euren Onkel, und nachdem sie
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