Tränen der Lilie - Die Kristallinsel (Dreamtime-Saga) (German Edition)
sie sich schnell um und begab sich zum anderen Ende des
Wohnzimmers. Als sie die raumhohen dunklen Holzlamellen zur Seite schob, stockte
ihr der Atem. Lautlos trat sie auf die Terrasse, die sich nur wenige Meter von
Strand befand und einen spektakulären Blick auf das türkise Meer und den Strand
bot.
Versonnen ließ sie die
paradiesische Aussicht auf sich wirken und lauschte mit geschlossenen Augen dem
leisen Rauschen des Meeres. Schließlich seufzte sie auf und zwang sich, von
ihren Tagträumen in die Gegenwart zurückzukommen. Flink öffnete sie die Koffer
und verstaute ihre Kleider in dem riesigen Schrank.
Dabei glitt sie mit ihren Fingern
liebevoll über Michaels T-Shirts und seine Shorts und legte sie dann neben ihrer
Unterwäsche in die Schubladen. Verzückt betrachtete sie den Wäschestapel. Ihre
BHs Seite an Seite mit Michaels Sachen. Dieser für viele Ehefrauen vielleicht
frustrierende Anblick löste in Amy ein Urgefühl ihrer Verbundenheit aus. Für sie
war dieser Anblick fast so ein intimer Moment wie ihre Heirat.
Ein wohliges Gefühl breitete sich
in ihr aus. Sie war jetzt seine Frau, seine Gefährtin. Ab jetzt besaß nur noch
sie das Privileg, alles mit ihm zu teilen zu dürfen. Und nur sie würde ihn jetzt
nackt sehen, seinen Körper neben sich fühlen. Das erfüllte ihr Herz mit
ehrfurchtsvollem Stolz und grenzenloser Liebe. Bei diesen Gedanken musste sie
unerwartet an Rachel und ihre vielen Diskussionen zum Thema Ehe und Männer
denken.
Wäre sie jetzt hier im Zimmer,
wüsste Amy genau, was sie ihr antworten würde. Melancholisch lehnte sie sich an
den Wandschrank. Und dann sah sie Rachels Gesicht mit dem schwarzen Pagenschnitt
und ihrem Schmollmund vor ihren inneren Augen und sie meinte, ihre Stimme neben
sich zu hören.
» Oh Gott, Amy, mir wird gleich
schlecht. Ich glaube, mein Martini shaket sich gerade zum zweiten Mal in meinem
Magen. Verdammt nochmal, Amy, was zum Teufel hast du an dem Wort Emanzipation
nicht verstanden? In welchem Jahr bist du stehengeblieben, im 16. oder im
17.Jahrhundert? Heutzutage sorgt jeder für sich selber. Man muss weder heiraten
noch zusammenziehen, um eine heiße Nacht zu verbringen. Ich trage doch einem
Mann nicht seine dreckigen Socken hinterher, geschweige denn wasche ich sie.
Dafür wurden die Waschsalons erfunden, zusammen mit den googlemaps, die den
Männern den Weg dorthin zeigen. Und dank Ronald McDonald müssen wir Weibchen
auch nicht mehr verschwitzt am Herd stehen. Wenn ich jemals eine Küchenschürze
tragen sollte, dann nur um meinem neuen Lover die Tür zu öffnen, um ihm den
Nachtisch zu präsentieren. Denn ich werde nur die Schürze tragen - und nichts
darunter .«
Der Klang ihrer amüsierten Stimme
hallte in Amys Innerstem wider und unter Tränen sah sie in ihrer Vision das
typische süffisante Lachen, für das Rachel bekannt war. Rachel, so jung, so
frei. Einst ihre beste Freundin und jetzt war sie tot.
Tot, weil sie sich den falschen
Mächten auf dieser Welt zugewandt hatte. Verzweifelt stöhnte Amy auf und
versuchte die wehmütigen Gedanken aus ihrem Kopf zu verdrängen. Schnell duschte
sie sich und schlüpfte danach in ihren Bikini.
Diesmal hatte sie sich nicht für
ihre Lieblingsfarbe Grün, sondern für einen pinkfarbenen Bikini entschieden, der
mit klitzekleinen Schmetterlingen und einer Lotusblüte verziert war.
Passend dazu hatte sie sich die
Fußnägel in demselben fröhlichen Pinkton lackiert. Amy verknotete die Bänder im
Nacken und betrachtete sich kritisch. Sie war noch nie mit viel Oberweite
gesegnet gewesen, weshalb sie auch selten einen BH trug.
Seit ihrem vierzehnten Lebensjahr
Cup 75 B, daran hatte sich auch heute noch nichts verändert. Rachel hatte auch
das vor langer Zeit sehr praktisch kommentiert.
Sei froh. Wo nicht viel ist, da
kann später auch nicht viel sacken. Meine Brüste werden irgendwann einmal so
hängen, dass ich keinen BH mehr brauche. Ich ziehe einfach meinen Slip ein
bisschen höher und stopfe alles rein.
Amy hatte sie bei dieser Wortwahl
entsetzt angestarrt und Rachel war in wieherndes Gelächter ausgebrochen und
hatte sich gar nicht mehr eingekriegt. Warum fielen ihr gerade jetzt Rachels
Worte immer wieder ein?
Traurig biss sie sich auf die
Lippe. Doch nach einigen Minuten stahl sich ein Lächeln auf ihr Gesicht.
Egal, was ihre Freundin auch
getan hatte und warum sie gestorben war: Sie war nicht immer auf der falschen
Seite des Lebens
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