Tränen der Lilie - Hüter der Gezeiten (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
sie genau dreiundzwanzig
Minuten gebraucht
hatte, um die drei Stockwerke zu bezwingen. Rebecca kicherte und
sah dabei auf
ihre Uhr.
»In fünfzehn
Minuten beginnt die
Besuchszeit. Du bist geliefert, wenn sie dich nicht in deinem
Bett antreffen,
das ist dir hoffentlich klar. Ich möchte nicht in deiner Haut
stecken .« Danach wurde sie wieder
ernst.
»Rachel hat mir
alles von dir und
Michael erzählt. Er muss dich furchtbar lieben. Macht er dich
glücklich ?« , fragend schaute sie
hoch.
»Ja, Michael ist
einfach alles,
was ich mir je im Leben ersehnt habe. Auch wenn er aus einer
anderen Welt
kommt. Er ist die andere Hälfte meines Spiegelbildes. Hört sich
vielleicht
kitschig an. Aber nach allem, was wir zusammen durchgemacht
haben, kann ich
kaum atmen wenn er nicht in meiner Nähe ist«, verträumt blickte
Amy auf und
betrachtete die Freundin forschend.
»Aber ich bin dich
nicht
gekommen, um nur von mir zu erzählen. Wie geht es dir? Und ich
möchte eine
ehrliche Antwort und nicht die Ausweichmanöver, die du
tagtäglich deinem
Psychologen erzählst, okay ?«
Amy wusste von
Michael, dass die
beiden Schwestern nach der Tat sofort stationär in der
Hope-Klinik aufgenommen
und rund um die Uhr von erfahrenen Trauma-Psychologen behandelt
wurden. Rachel
hatte sich erstaunlich schnell wieder erholt und war nach neun
Tagen in die
Obhut ihrer Eltern entlassen worden. Amy schrieb das ihren sehr
viel stärkeren
Charakterwillen zu. Aber sie hatte ja auch nicht so eine
Extremsituation wie
Rebecca miterlebt.
Nachdem Rachel
ihren Zweck
erfüllt - und ihre Schwester zu Atcitty in den Wald geführt
hatte - wurde sie
von ihm mit Äther betäubt und in den Ice Caves abgelegt. Rebecca
hingegen hatte
den gesamten Alptraum bei vollem Bewusstsein erlebt. Sie wurde
gefesselt und
war danach stundenlang hilflos den Werwölfen ausgeliefert
gewesen, bevor
Michaels Familie sie befreien konnte. Das konnte ein schon
vorher
verschüchtertes Mädchen nur schwer verkraften. Michael hatte ihr
auch
berichtet, dass sie sich den Therapeuten nicht öffnen konnte.
Rebecca blickte
angestrengt aus dem Fenster. Amy ließ ihr Zeit und nach einer
Weile begann
Rebecca über ihre Ängste zu reden.
»Du kannst dir
nicht vorstellen,
welche Alpträume mich jede Nacht plagen. Immer und immer wieder
sehe ich
Atcitty… wie er sich über mich beugt… mir mit seinem stinkenden
Atem ins Ohr
flüstert, das er meine Nieren rausreißen wird. Ich kriege seinen
verwesenden
Geruch einfach nicht aus meinem Bewusstsein… überall rieche ich
ihn. Bei jedem
Geräusch zucke ich zusammen und denke, jetzt kommt er mich doch
noch holen.
Michael hat mir hoch und heilig versichert, dass er
unwiderruflich tot ist -
ich glaube das allerdings nicht«, flüsterte sie erstickt.
»Ich habe so
wahnsinnige Angst .«
Ihre Stimme brach
und ihre Augen
füllten sich mit Tränen. Amy nahm sie so fest sie konnte, in
ihre Arme und
wiegte sie tröstend hin und her. Lange Zeit war nur Rebeccas
leises und
unterdrücktes Weinen im ansonsten stillen Krankenzimmer zu
hören. Amy ließ sie
stumm gewähren. Denn erst wenn das Salz der Tränen die Qualen
aus ihren Körper
gespült hatte, erst dann konnte man versuchen ihrer geschundenen
Seele zu
helfen. Irgendwann wurde sie ruhiger.
»Wie geht es
deiner Schwester,
besucht sie dich oft ?« , fragte Amy
mit weicher Stimme.
»Ja, sie kommt
jeden zweiten Tag
und ist schon wieder ganz die alte Rachel. Das einzige was sie
kolossal stört
ist, das sie wieder bei unseren Eltern wohnen muss .«
Amy reichte ihr
ein Taschentuch
und Rebecca putzte sich geräuschvoll die Nase.
»Ich weiß, das hat
Mahu mir auch
schon erzählt«, ergänzte Amy.
»Michael hat euren
Eltern
nahegelegt, dass sie euch nicht aus der Therapie hier reißen.
Eigentlich wollte
dein Vater mit euch sofort nach England zurückreisen. Aber dann
hättet ihr
erneut einen anderen Arzt von eurem Trauma erzählen und wieder
ganz von vorne
anfangen müssen. Deine Mutter hat es dann auch eingesehen. Und
nachdem sie von
eurem verstorbenen Onkel in Frankreich eine kleine Erbschaft
erhalten haben,
hat dein Vater ein kleines Appartement hier in Flagstaff
gemietet. So hat
Rachel auch die Chance, ihr Studium in Ruhe abzuschließen .«
Rebecca sah sie an
und lächelte
Weitere Kostenlose Bücher