Tränen der Lilie - Seelen aus Eis (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
verschwunden.
»Hier bin ich…
komm zu mir.«
Verstört drehte er
sich um und da sah sie wieder. Lasziv saß sie in etwa zehn
Metern Entfernung auf der halbhohen Mauer, die den Park
einrahmte und winkte ihm verheißungsvoll zu. Wie zum Teufel war
sie so schnell dahin gekommen? Doch noch ehe er lange darüber
nachdenken konnte, flog sie flirrend auf ihn zu. Ricardo hatte
nicht den leisesten Hauch einer Chance, um zu entkommen.
Mit eisernem Griff
umklammerte sie ihn und hielt seinen Körper fest umspannt.
Danach begann sie genüsslich winzigen Tropfen seines Blutes
aufzusaugen. Ricardo durchlief eine Gänsehaut, als sie mit ihrem
kleinen Finger langsam begann, seinem Oberkörper zu streicheln.
Das anschließende brennende Stechen, als etwas in ihn eindrang,
ließ ihn benommen zu Boden gleiten.
Hilflos sah er in
ihre jetzt wieder dunklen und teilnahmslosen Pupillen, bevor
sein Körper und sein Geist in eine allumfassende Finsternis
abtauchten.
****
Als Ricardo wieder
zu sich kam, starrte er sie aus achatfarbenen Augen ergeben an.
Marionettenhaft
erhob er sich vom schneenassen Boden und folgte ihr
schwerfällig. Durch ihren schwarzen, langen Umhang war ihre
Gestalt in der sternenlosen Nacht fast nicht zu erkennen - aber
ihr blondes Haar schimmerte in der Dunkelheit wie verheißendes
Gold.
Bizarre Visionen
D er
aufkommende Sturm peitschte die Äste der Bäume hin und her. Das
grollende Gewitter durchzuckte den schwarzen Nachthimmel und gab
den Blick auf die Szenerie frei. Ein tosendes Krachen ertönte
und der vom Blitz getroffene Baum sank krachend zu Boden.
Beängstigende, halblaute Geräusche vermischten sich mit den
Schatten und den Gestalten der Nacht.
Ein Ozean der
Erinnerungen strömte auf Amy ein und setzte ein erschreckendes
Wiedererleben des Grauens in ihren Träumen frei. Sie sah sich
wieder auf dem moosbedeckten Waldboden liegen. Schwerverletzt
und tief blutend. Dann sah sie Michael, der sie wegriss und sie
so vor dem schwarzen Werwolf Blake Tohopka Atcitty gerettet
hatte.
Von hoch oben in
der Dimension, sah sie Minuten später ihren eigenen,
blutverschmierten Körper auf dem Operationstisch liegen.
Beobachtete, wie Michael, sein Vater und alle Ärzte verzweifelt
um ihr Leben kämpften. Amy schlug im Bett um sich und versuchte
sich verzweifelt, aus diesem Alptraum zu befreien. Nebelhaft
lösten sich die Bilder nach und nach auf und sie sah in ihrer
Vision Michael auf sich zukommen. Ein verträumtes Lächeln
erschien auf Amys schlafendem Gesicht. Sofort fühlte sie eine
tröstende Wärme in sich aufsteigen. Wenn Michael in ihrer Nähe
war, fühlte sie die ganze magische Macht seiner Gefühle in sich
einströmen.
Seine Sanftheit,
seine Angst sie zu verlieren, seine Fürsorge sie immer und
überall zu beschützen.
Seinen eisblauen,
strahlenden Augen, die sie verzauberten.
Michael machte sie
sehend, beschützte sie, er forderte sie heraus, er glaubte an
sie und er schenkte ihr seine bedingungslose Liebe. Er war der
Spiegel ihrer Seele und das Leuchten im Niemandsland. Bei ihm
war sie endlich angekommen. Bei diesen Gedanken seufzte sie in
Schlaf beruhigend auf.
Doch kurz danach
schlug das Gefühl unvermittelt in nackte Angst um. Ein eisiger
Windhauch streifte ihren Körper und andere, unbekannte und
beängstigende Bilder erschienen vor ihren inneren Augen.
Amy fühlte, wie
sie langsam von einer klirrenden und eisigen Kälte umklammert
wurde. Dumpfe Kopfschmerzen durchbohrten ihren Kopf wie
Nadelstiche und dann sah sie Michael schwerverletzt auf dem
Boden liegen. Eine hünenhafte und verhüllte Gestalt, von der ein
eisiger Sog ausging, beugte sich über ihn… bereit ihn zu
vernichten. Amy spürte den Hauch des nahenden Todes.
Sie sah sich
selber in ihre Vision, wie sie verschwitzt und zerkratzt
irgendwo lag und wartete… dann sprang sie aus ihrem Versteck
hervor… versuchte das Ritual zu vollziehen… um Michaels Leben zu
retten… so viel Blut… so viel Hass…
Sie blickte
erschüttert in Michaels weitaufgerissene Augen der Angst – und
zeitgleich sah sie in ein anderes, grauenvolles Antlitz, das
unmittelbar vor ihr stand.
Amy versank in
einem lichtlosen, tosenden Strudel, der sie immer weiter unter
die Oberfläche riss… und die Welt hörte auf, sich zu drehen…
»Oh Gott… nicht
schon wieder…«, ruckartig wachte Amy auf. Ihr
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