Tränen der Lilie - Seelen aus Eis (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
hektisch nach dem Hörer zu greifen und ignorierte die
Anschuldigungen.
»Ich bin bald
fertig, aber George erzählt gerade von seinen neuen Sportwagen,
den er sich bestellt hat. Gib mir noch eine halbe Stunde, dann
bin ich bei ihr«, bettelte sie.
Doch Emily hatte
entschieden genug von ihrer egoistischen Ader. Wütend hielt sie
die Sprechmuschel zu, damit der arme George ihre Schimpftiraden
nicht mitbekam.
»Du bist eine
elende Egoistin Rachel, du wirst dich niemals ändern. Lass dich
also bei deinen Liebesgeflüster nicht stören. Ich werde Rebecca
mitnehmen und mich um sie kümmern.«
Mit diesen Worten
warf sie ihr den Hörer zu und Rachel strahlte über das ganze
Gesicht.
»Emily, das ist
aber lieb von dir, ich werde mich beizeiten dafür revanchieren.«
Emily schnaufte
empört auf und begab sich wieder in die Küche. So langsam begann
ihr Rachels Egoismus auf den Keks zu gehen. Rebecca saß immer
noch am Tisch, als wäre sie dort festgewachsen und als Emily
näher kam bemerkte sie, dass das Buch verkehrt herum auf dem
Tisch lag. Das hieß, sie hatte überhaupt gar nicht gelesen,
sondern war wieder einmal in ihren Depressionen versunken
gewesen. Betont fröhlich versuchte sie das Mädchen ein wenig
aufzuheitern.
»Das Buch habe ich
zufällig auch gelesen. Ich finde die Stelle besonders lustig, wo
die Affen mit dem Schuh von dem Jungen weglaufen, findest du
nicht auch?«
»Ja…«
»Soll ich dir auch
ein Sandwich machen?«
»Nein,
Dankeschön.«
»Gut, was hältst
du davon, wenn ich mit dir ins Kino gehe? Im Central
spielen sie den neuen Ice Age Film, der soll zum totlachen
sein.«
Endlich zeigte
Rebecca eine Reaktion, wenn auch nicht die, die Emily sich
erhofft hatte. Denn kaum war ihr das Wort totlachen rausgerutscht, versteifte sich Rebecca und sah sie mit
verängstigten Augen an.
»Na prima«, dachte
Emily. Damit hat sich gerade herausgestellt, dass mein Talent
als Entertainer und Seelsorger gleich null ist. Rebecca ließ
wirklich keinen Menschen an sich heran. Nur Amy verstand es
immer wieder auf sie einzugehen. Aber diese war mit Michael noch
mindestens eine Woche lang am Lake Elaine. Angestrengt dachte
sie nach. Außer Amy kannte sie nur noch eine Person, der es
vielleicht gelingen würde, Rebecca aus ihrer Depression zu
holen. Auch ihr waren die Blicke und die häufigen Besuche Bens
nicht verborgen geblieben. Einen Versuch war es auf jeden Fall
wert.
»Also, ich fahre
jetzt zu Mahu. Sie hilft mir bei der Chemieprüfung, für nächste
Woche.
»Du besuchst Mahu…
Zuhause?«, fragte Rebecca mit Neugier in der Stimme.
Aha, diese
Strategie schien scheinbar besser zu laufen, also legte Emily
noch einen drauf.
»Ja, ich war schon
ein paarmal dort. Sie haben ein wunderschönes Haus und ein
riesiges Grundstück, auf dem sie Pferde züchten. Ben kümmert
sich übrigens gerade rührend um ein neugeborenes Fohlen. Es ist
erst drei Wochen alt und so süß, das solltest du sehen.«
Aus den
Augenwinkeln beobachtete sie ihre Reaktion. Rebecca schien
heftig mit sich zu kämpfen und biss sich auf die Unterlippe.
Dann hatte sie sich scheinbar entschieden.
»Darf ich
vielleicht mitkommen? Ich werde euch auch bestimmt nicht stören,
ich verspreche es«, fragte sie zaghaft.
Emily
beglückwünschte sich innerlich zu ihrer grandiosen Idee.
****
Als sie am Haus
ankamen stand Mahu schon an der Tür um sie zu begrüßen. Als sie
wenig später in der Küche saßen und Emily ihre Lehrbücher aus
der Tasche holte, bemerkte Mahu die suchenden Blicke von Rebecca
und lächelte wissend.
»Mein Mann und die
anderen sind leider alle noch im Krankenhaus beschäftigt. Aber
Ben hat gesagt, dass er gegen vier Uhr wieder zu Hause ist.
Emilys Chemieformeln sind ziemlich langweilig. Vielleicht hast
du Lust und besuchst Raina im Stall. Sie hat vor kurzem ein
wunderschönes Fohlen bekommen, das sich immer über Besuch
freut.«
»Ja, gute Idee«,
murmelte Rebecca.
Nachdem sie die
Hintertür zugeschlagen hatte, schlenderte sie langsam den
kleinen Pfad hinter dem Haus entlang, der zu den Ställen führte.
Gottseidank war der Schnee schon wieder geschmolzen. Er hielt
sich in diesen Höhen nie länger als ein oder zwei Wochen.
Endlich erstrahlten die Weidefelder wieder in einem saftigen,
satten Grün. Sie liebe die Welt der bunten Farben mehr, als das
langweilige weiß
Weitere Kostenlose Bücher