Tränen der Lilie - Seelen aus Eis (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
sich aus die Initiative ergriffen und seine Stimme
klang zum ersten Mal sehr resolut. Mahu setzte sich zu ihnen an
den Tisch und lächelte sanft. Sie ahnte, dass ihr Mann diese
Situation nicht einordnen konnte. So gut wie er sonst die
täglichen Aufgaben als Hüter der Gezeiten bewältigte, sowenig
wusste er doch über einige menschliche Regungen seiner Kinder
Bescheid. Anders als er hatte sie schon lange gefühlt, dass in
Ben eine zarte Blume der Gefühle wuchs, die langsam kräftiger
wurde.
»Gib ihm das Foto,
Milton. Ich bin mir sicher, dass Ben einen Weg finden wird,
Rebecca zu fragen, ohne sie wieder einzuschüchtern.«
»Danke Mom«, sagte
Ben und hatte nicht vor sie zu enttäuschen.
»Ich hole Rebecca
morgen von der Schule ab und versuche sie ein bisschen mit den
Pferden vertraut zu machen, um ihr die Angst davor zu nehmen.
Wenn der Moment passt, dann spreche ich sie auf das Foto an.
Zeit der Besucher
D ie
letzten zwei Wochen waren wie im Flug vergangen. Seit zwölf
Tagen arbeitete Amy nun schon wieder im Krankenhaus von
Flagstaff. Heute war ihr erster freier Tag, den sie in der
Hope-Klinik, im Navajo-Reservat, verbrachte. Zufrieden blickte
sie auf ihre Armbanduhr. Sie lag gut im Zeitplan. Heute
Nachmittag stand nur noch eine routinemäßige Mandeloperation auf
der Liste. Dazwischen blieb ihr jetzt noch genug Zeit, um sich
ihren geliebten Kaffee zu gönnen und Mahu in ihrer Kräuterküche,
wie sie es nannte, zu besuchen.
Das waren jedes
Mal die Augenblicke, die sie bei ihrer Ausbildung zur Ärztin am
meisten liebte, denn Mahus magisches Wissen über die
Jahrhundertealten, indianischen Naturrezepte war einfach
unerschöpflich. Als sie die Tür zum Labor öffnete, winkte Mahu
ihr erfreut zu. Vorsichtig bahnte Amy sich einen Weg und
versuchte nirgendwo gegen zustoßen. Der ganze Raum war durch
zwei große Wandschränke abgetrennt. Überall in den Regalen
standen hohe, dünne Reagenzröhrchen, Gläser mit in Spiritus
eingelegten exotischen Wurzeln und unzählige abgeschälte
Borkenrinden, von verschiedenen Baumstämmen. Sie musste beim
gehen auch leicht den Kopf einziehen, denn quer über das Zimmer
war an der Decke ein stabiles Drahtseil gespannt, an dem
Wildblumen, Gräser und seltene Kräuter zum trocknen in der Luft
hingen. Über allem lag ein würziger, holzig aromatischer
Naturgeruch, der sie an ihre Kindheit mit Tadita, ihrer Mutter
erinnerte.
»Was ist das«,
fragte sie interessiert, diese Art Wurzel hatte Amy vorher noch
nie gesehen.
»Das ist
Beinwell«, antwortete Mahu und schöpfte den heißen Sud in ein
Glas. Anschließend nahm sie die knollenartige Wurzel aus dem
Topf und legte sie auf ein steriles Tuch. Dabei stieg ein leicht
säuerlich, nach Gurken riechender Dampf auf und hüllte den Raum
ein.
»Beinwell ist eine
Heilpflanze die zu den Borretsch Gewächsen gehört. Sie wächst in
den Sumpfgräben am Teichufer. Ich habe sie heute Morgen ganz
früh gesammelt. Denn nur wenn sich die Tautropfen noch auf der
Blüte spiegeln, besitzen sie ihre volle Kraft.«
Amy nickte, das
hatte ihr schon Tadita beigebracht. Denn das Geheimnis der
mystischen Schamanen basierte einzig und allein auf ihr
Urvertrauen, das Menschen, Tiere und auch Pflanzen eine Einheit
aus Körper, Seele und Geist bildeten. Nur wenn die Kräuter und
Wurzeln im Einklang mit den Kräften der Natur standen, dann
entfalteten sie ihre Heilkraft auf den Kranken, denn sie alle
waren miteinander verbunden. Unterdessen hatte Mahu damit
begonnen, die Knolle zu einem Brei zu vermischen.
»Das hilft
hervorragend bei Verstauchungen oder Hämatomen. Das darin
enthaltene Cholin hemmt die Bildung von Ödemen und der Wirkstoff
Allantoin hilft bei der Neubildung des Gewebes. Du darfst es nur
nicht auf offene Wunden einreiben, das ist sehr wichtig. Komm
mit, das muss jetzt abkühlen. In der Zwischenzeit kannst du mir
bei einer anderen Sache helfen.«
Sie nahm Amys Arm,
zog sie zu dem gegenüberliegenden Tisch und drückte ihr einen
roten Keramik-Topf in die Hand. Danach zerpflückte eine gelblich
aussehende Wurzel und reichte Amy den Mörser.
»Es muss zu ganz
feinen Pulver gerieben werden«, meinte sie. Das ist übrigens
eine wildwachsende Yamswurzel. Sie besitzt einen sehr hohen
Gehalt des Wirkstoffes Diosgenin. Weißt du was darauf gemacht
wird?«, fragte Mahu und blickte sie dabei aufmerksam
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