Tränen der Lilie - Seelen aus Eis (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
allen
Neuen gefürchtet. Vielleicht weil meine Eltern mich als
Nesthäkchen so sehr beschützt haben. Alles haben sie mir immer
abgenommen. All das, was sie bei Rachel versäumt hatten, wollten
sie anscheinend bei mir wieder gut machen. Mom hat sogar ihre
Arbeit aufgegeben, um noch mehr Zeit mit mir zu verbringen.
Letztendlich hat sie mich damit nur noch unselbständiger
gemacht, indem sie mir alles abgenommen hat. Manchmal habe ich
das Gefühl, das sie mich in meinen Ängsten sogar noch bestärkt
hat, um mich noch fester an sie zu binden.«
Sie verstummte,
zupfte einen neuen Grashalm aus und begann ihn mit dem anderen
zu einem Zopf zu verflechten. Zaghaft lehnte sie sich an Bens
Schultern und streichelte zart über sein Fell. Sie spürte wie
ihre Nase zu laufen begann und wischte sich achtlos mit dem
Ärmel ihrer Bluse übers Gesicht. Normalerweise wäre ihr so etwas
peinlich gewesen, aber in Bens Gegenwart schienen ihre Gefühle
eine andere Form anzunehmen. Scheu blickte sie ihn von der Seite
an und las in seinen hellblauen Pumaaugen nichts als
grenzenloses Verständnis. Das gab ihr schließlich den Mut zum
weitersprechen.
»Wahrscheinlich
ist es nicht richtig von mir, meinen Eltern die Schuld zu geben.
Als Rachel geboren wurde, waren sie voll mit dem Aufbau ihrer
gemeinsamen Anwaltspraxis beschäftigt und haben meine Schwester
an unzählige Kindermädchen abgeschoben. Darum war sie schon sehr
früh selbständig und ist angefangen ihre eigenen Wege zu gehen.
Bei mir wollten sie dann alles besser machen und haben
genau das Gegenteil erreicht«, flüsterte sie.
»Was ich dir jetzt
sagen, das habe vorher noch niemanden erzählt, weil ich mich bei
diesen Gedanken so schäme…“
Ihre Stimme brach
und war kaum zu verstehen. Ben wagte es und rückte vorsichtig
ein wenig näher an sie heran. Dabei streifte sein samtiges Fell
ihren Arm, doch Rebecca schien es gar nicht zu bemerken.
Versunken in ihren
Kummer glitt ihr Hand ziemlich unsanft durch sein Fell. Ben
zuckte kurz zusammen, gab einen kleinen Brummton von sich und
hörte ihr weiterhin zu. Es war besser, wenn sie erst einmal
alles raus ließ.
»Weißt du, viele
Stunden in der Nacht liege ich wach und beobachte die
angstmachende Dunkelheit…“
Sie stockte und
Ben sah wie sich ihre Augen vor Traurigkeit verdunkelten.
»… und dann frage
ich Gott Nacht für Nacht, warum er ausgerechnet mich ausgewählt hat. Warum…? Warum verdammt nochmal nicht Stella
oder irgend ein anderes Mädchen von der High-School ?
Niemand hat es verdient, das Opfer eines satanischen Werwolfes
zu werden, aber…“, schniefte sie, »aber jedes andere Mädchen
hätte es verflucht nochmal so viel besser verkraftet als ich .
Alle in meiner Klasse sind taff, stark im Nehmen und können
unangenehme Sachen schnell verdrängen. Sie sind einfach normal .
Oh lieber Gott… steh mir bei. Wahrscheinlich wirst du mich jetzt
für meine schlechten Gedanken hassen.«
Rebecca blinzelte
kurz zu Ben rüber, wagte es aber nicht in seine Augen zu sehen.
Gepeinigt sah sie
zum sonnenüberfluteten Himmel hoch und ein schluchzen entrang
sich ihrer Kehle. Heiße Tränen, die seit der grauenhaften
Vollmondnacht tief in ihrer Seele begraben waren, bahnten sich
jetzt ihren Weg an die Oberfläche. Sie rieb sich die Augen, ihr
Weinen vermischte sich mir einen unterdrückten Stöhnen und dem
Laufen ihrer Nase. Ihr Körper zuckte gequält hin und her und Ben
spürte mit seinem tierischen Instinkt, dass jetzt endlich all
die aufgestauten Gefühle aus ihr herausflossen. Sie war wie ein
verwundetes Tier, das um Hilfe schrie.
Aber nur sie
selber konnte sich heilen, indem sie die aufgestauten Gefühle
und den Hass aus ihrem Herzen spülte. Nur so konnte der lang
ausbleibende Heilungsprozess ihrer geschundenen Seele beginnen.
Darum sagte er nichts und ließ sie trauern - bis ihre Tränen
langsam versiegten. Danach wagte er es, stupste sie unendlich
zaghaft mit seiner Schnauze an und rieb seinen Kopf zart an
ihrem Haar.
Rebecca reagierte
auf die Berührung. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und
umarmte ihn stumm.
»Verabscheust du
mich jetzt, weil ich diese Gedanken habe?«, fragte sie
schüchtern.
Ben brummte leise
und schüttelte ernst seinen Kopf. Dankbar sah sie ihn an und
schluckte die letzten Tränen hinunter. »Wahrscheinlich bin ich
total übergeschnappt«,
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