Tränen der Lilie - Seelen aus Eis (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
Dann legte die Bürste auf
das Regal und setzte sich neben sie in den warmen Heuhaufen.
»Mann. Du redest
nicht sehr viel, aber wenn, dann stellt du sehr interessante
Fragen, das muss man dir lassen«, murmelte er.
»Doch ja, ich
glaube an den weisen Rat. An ihre nie müde werdende Kraft in
dieser Welt das Gute zu sehen und das Böse zu bekämpfen. Das
sind die Werte, die mir die Dogianer beigebracht haben und an
die ich von ganzen Herzen glaube. Ich denke, das kommt den
menschlichen Glauben an Gott ziemliche nahe. Obwohl ich den
weltlichen Streit der verschiedenen Kulturen nicht verstehe. Ist
es nicht egal ob wir an Gott, Buddha, Allah oder an die Dogianer
glauben? Ich denke, das es einem nicht automatisch zu einen
guten Menschen macht, wenn man jeden Tag drei Ave Maria betet.«
Ben hielt kurz
inne. Leicht berührte er ihre Hand und lenkte ihren Arm ein
wenig höher, sodass das Fohlen besser an das Milchfläschchen
kam.
Rebecca nahm das
warme Gefühl war, das seine feingliedrigen Finger auf ihrer Haut
verursachten und betrachtete ihn stumm von der Seite. Ben spürte
ihren Blick und lächelte, bevor er weitersprach.
»Rebecca, der
Glaube der Kirchen oder der Tempelpriester ist nicht
entscheidend. Nur was du in deinem eigenen Herzen
spürst, was für dich das wichtigste auf der Welt ist,
nur daran solltest glauben.«
Er betrachtete sie
liebevoll.
»Hat das deine
Frage beantwortet?«, fragte er leise.
Sie nickte.
»Sogar mehr als
das. Du hilfst mir mehr, als alle Psychiater zusammen. Weißt du,
seit dem schrecklichen Ereignis habe ich tatsächlich den Glauben
an alles und jedem verloren… auch an Gott. Ich hasste ihn
zeitweise sogar dafür, dass er es zuließ und mich so verdammt
leiden ließ. Aber jetzt denke ich, dass er das vielleicht
bewusst zugelassen hat. Damit ich mir endlich klar werde, was
ich mit meinem Leben anstellen will.«
Sie seufzte tief
und streichelte gedankenverloren das Fohlen.
»Scheint irgendwie
funktioniert zu haben. Ich habe lange über den schrecklichen
Angriff und über mein bisheriges Leben nachgedacht und ich weiß
jetzt endlich, was ich beruflich machen will. Ich möchte gerne
Kinderpsychologie studieren. Und dann werde ich versuchen,
anderen Kindern mit traumatischen Erlebnissen zu helfen. Denkst
du, das dies der richtige Weg ist?«
Sie sah hoch und
Ben blickte sie mit neuem Respekt an.
»Rebecca«,
erwiderte er ernst, »ich habe in unseren Kampf gegen das Böse
schon viele Opfer gesehen. Einige wenige von ihnen haben
überlebt - so wie du. Und nach so einem grauenvollen Vorfall
geht jeder anders mit dem Erlebten um. Jeder Mensch reagiert
vollkommen verschieden auf solche traumatische Erlebnisse.
Manche verlieren dadurch ihre Menschlichkeit. Aber andere
entdecken dadurch erst ihre Seele und wissen danach, was sie in
ihrem Leben wirklich wollen. Darum solltest du deine
Entscheidung nicht hinterfragen. Nur du selber kannst wissen,
was wirklich gut für dich ist. Kein anderer Mensch kann dir
diese Entscheidung abnehmen. Aber ich bin sehr stolz auf dich.«
Er schob ihr eine
vorwitzige Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus ihren Zopf
gelöst hatte. Er freute sich von ganzem Herzen, dass sie die Tat
jetzt scheinbar verarbeitet und wieder ins Leben zurückgefunden
hatte. Nachdenklich verschränkte er seine Arme um seine Knie und
betrachtete sie scheu von der Seite.
Rebecca ahnte
wahrscheinlich gar nicht, dass sie der Grund war, dass er seit
geraumer Zeit nicht mehr schlafen konnte. Sie war noch so jung
und hatte schon so viel Grausames erlebt. Rein äußerlich wirkte
sie wie eine zerbrechliche Puppe. Aber er spürte, dass sie das
Erlebte stärker gemacht hatte und ein wenig mehr erwachsen.
Irgendwie war sie
so ganz anders als die anderen Mädchen ihres Alters. Sie
kicherte nicht ständig alber herum oder redete über Schminke
oder den neuesten Klamottentrends, was ihn nicht die Bohne
interessierte.
Am Anfang war ihm
nur ihre tiefe Traurigkeit und Melancholie aufgefallen und er
hatte den unbewussten Drang verspürt, sie zu trösten. Ihm gefiel
die sanfte Ruhe, die sie ausstrahlte und der Ernst, mit dem sie
alle Dinge betrachtete.
Und sie war eine
aufmerksame Zuhörerin. Es machte Spaß mit ihr zu diskutieren,
über Gott und die Welt und Dinge zu reden, die er sonst keinen
anderen Menschen anvertraute. In den vielen Nächten der
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