Tränen der Lilie - Seelen aus Eis (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
vergangenen Wochen, als er nicht einschlafen konnte, hatte er an
sie gedacht und ihm war bewusst geworden, dass sich seine
Gefühle für sie verändert hatten.
Jetzt wollte er
mehr als nur ihre Freundschaft. Er wünschte sich, dass sie ihm
ihr Herz öffnete. Lange hatte er sich nicht erlaubt, den
Gedanken überhaupt in sein Bewusstsein zu lassen und sich damit
auseinander zu setzen. Mit Liebe und den ganzen Gefühlsduseleien
hatte er noch nie viel am Hut gehabt. Doch in der vorletzten
Nacht hatte er Rebeccas Gesicht vor seinen Augen gesehen und
gespürt, dass sie das Spiegelbild seiner Seele war.
Die Erkenntnis
traf ihn wie ein Schlag in den Magen. Vorher
hatte er geglaubt, dass man sich erst an ein
Mädchen bindet, wenn man ungefähr in dem Alter von Michael oder
von Taylor war.
Doch trotz seiner
erst 18 Jahre wurde ihm in dieser Nacht unweigerlich bewusst,
dass Rebecca die richtige Gefährtin für ihn war.
Eine Frage brannte
in ihm. Aber er wusste dass es noch zu früh war, um sie ihr zu
stellen. Fühlte sie sich auch auf eine besondere Weise
geborgen, wenn er in ihrer Nähe war, so wie er es bei ihr
spürte? Würde sie ihm eines Tages einen Platz in ihrem Herzen
gewähren?
Verlegen und aus
Angst, dass sie seine Gefühle von seinem Gesicht ablesen konnte,
stand er linkisch auf. Er schnappte sich die Heugabel, die in
der Ecke am Gatter lehnte und begann mit dem Ausmisten des
Stalles. Irgendwann würde die Zeit es ihm aufzeigen. Und da er
mit seinen 103 Jahren noch ein junger Geisterkrieger war, konnte
er sich den Luxus des Wartens erlauben, entschied er für sich.
Spurensuche
D er
strömende Regen ging langsam in ein leichtes Nieseln über. Die
samtigen orangegoldenen Strahlen der untergehenden Abendsonne
spiegelten sich in Millionen von Regentropfen wider, die wie
glänzende Diamanten auf den Blättern perlten. Sie hatten den
Wagen im Schatten der Bäume, am Rande des Waldgebietes geparkt,
um die Suche zu Fuß weiterzuführen. Schon nach wenigen Metern
verdunkelten riesigen Kieferbäume den Himmel und ließen nur noch
einzelne, milchig grüne Sonnenstrahlen durchschimmern. Ein
Knacken durchbrach die dichte Stille und Michael vernahm ein
leises Fluchen hinter sich. Sebastién war anscheinend über eine
im Boden wachsende Baumwurzel gestolpert.
»Lèche mon cul!
Verdammt nochmal, bist du dir wirklich sicher, dass wir die
Penner hier finden?«, schnaubte er dicht hinter ihm.
»Todsicher«,
erwiderte Michael ruhig.
Im Gegensatz zu
Sebastién bewegte er seinen Körper mit der Anmut eines
geschmeidigen Pumas. Sebastién dagegen polterte wie ein Elefant
im Porzellanladen durch den Wald. Auch die anderen sieben des
Igmu Tanka-Clans schienen nicht viel vom schleichenden und
lautlosen Anpirschen zu halten, was ihn innerlich aufstöhnen
ließ.
Wie sie es bis
jetzt geschafft hatten, solange in den vier Welten zu überleben,
war ihm immer noch ein Rätsel. Selbst ein Taubstummer konnte sie
schon Meilen vor ihrer Ankunft hören. Michal war sich bewusst,
dass sich die schwarzen Pumas immer schon etwas grobmotoriger
bewegten als seine Rasse. Aber mit ihnen im Schlepptau verjagten
sie sogar die Rubinkehlkolibris, die jetzt flügelschlagend und
aufgeregt zwitschernd in den Himmel flogen. Aufseufzte
schüttelte er den Kopf und marschierte weiter durch das dichte
Gebüsch. Sein Körper war angespannt und all seine Sinne waren
geschärft. Ein schmaler silberner Lichtstreifen durchschnitt das
Laub. Plötzlich blieb er ruckartig stehen und atmete tief ein.
Sebestién, der dicht hinter ihm war, prallte fast gegen ihn und
sah ihn verdutzt an.
»Was ist jetzt
schon wieder?«
Michael brachte
ihn mit einer energischen Handbewegung zum Schweigen und sog
weiterhin tief die Luft ein. Schwach und zart stieg ihm ein
vertrauter Geruch von Maiglöckchen und Lilien in die Nase. Aufs
äußerte angespannt blickte er in dem dunstigen Nebel vor sich.
Dieser Duft erinnerte ihn an irgendetwas… aber an was? Es war
nicht das erste Mal, dass ihm das passierte. Auf ihrer
wochenlangen Reise durch die Distrikte Arizonas, auf der sie die
Spuren der Läufer verfolgten, hatte er schon dreimal diese
betörende Duftnote eingeatmet.
Immer unmittelbar
bevor er eine Vision bekam, in der er die Ankunft oder die
Verstecke der Läufer vorhergesehen hatte. Es war jedes Mal wie
eine Warnung gewesen
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