Traenen des Kummers, Traenen des Gluecks
Wahrscheinlich, weil David das Eis mitgebracht hatte. Sie hoffte nur, dass David in der Lage war, Justins Verhalten zu ändern.
Während die beiden älteren Kinder den Tisch abräumten, folgten Brenda und David Nan in die Küche. Er akzeptierte Brendas Anweisungen mit gutmütiger Gelassenheit, und die Fünfjährige war begeistert.
Als sie dann wieder am Tisch saßen und sich das Dessert schmecken ließen, plauderten die Kinder ungezwungen drauflos. Doch Nan hörte nur mit halbem Ohr hin. Sie war damit beschäftigt, David zuzuschauen, der sich köstlich über das Geplapper der Kinder zu amüsieren schien.
Sie hatte immer gewusst, dass er Kinder liebte. Schon damals hatte sie es fasziniert, mit welcher Begeisterung er Brendas erstes Lächeln wahrgenommen, ihren ersten Zahn und ihre ersten Schritte bewundert hatte. Er war fast so stolz darauf gewesen wie Corry. Es war ein gutes Gefühl, David wieder zurück in ihrem Leben zu wissen.
Aber diese Tatsache beinhaltete auch Risiken. In seiner Nähe wurde ihr bewusst, dass sie nicht nur Mutter, sondern auch eine Frau war. Eine Frau, die Bedürfnisse hatte, die sie seit zwei Jahren ständig verdrängte. Bedürfnisse, die sie gern für den Rest ihres Lebens begraben hätte. Sie würde für immer Corrys Frau bleiben.
Etwas anderes konnte oder wollte sie sich im Moment einfach nicht vorstellen.
„Justin ist in der Schule fast so etwas wie eine Berühmtheit geworden“, drang Melodys Stimme in ihre Gedanken. „Und seine eigene Schwester musste die Neuigkeiten von Rachel Piddington erfahren. Ausgerechnet von dieser Ziege. Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie so bloßgestellt gefühlt.“ Melody steckte sich einen Löffel Eiscreme in den Mund.
Nan warf ihrer Tochter einen vorwurfsvollen Blick zu.
„Halt endlich deinen Mund, Mel“, fauchte Justin erbost. „Du solltest beim Essen nicht so viel Unsinn quatschen, das ist schlecht für die Verdauung.“
„Halt selbst deinen Mund“, wehrte sich Melody. „Es ist doch wahr, dass du in der Schule wie ein Held behandelt wirst, weil du Rick Kellog und Pete Delaney nicht an die Polizei verraten hast!“
Nan hielt bei Melodys Worten vor Überraschung einen Moment die Luft an.
„Halt endlich deine Klappe.“ Justin war vom Stuhl aufgesprungen.
Oh, verflixt noch mal! Das lief ja überhaupt nicht gut. „Nimm bitte wieder Platz, Justin. Wenn es die Kinder in der Schule bereits wissen, ist es ja auch kein Geheimnis mehr.“ Sie schaute zu David hinüber. Er wirkte völlig entspannt und ruhig.
Justin ließ sich wieder auf den Stuhl fallen und saß so kerzengerade da, als ob er einen Besenstiel verschluckt hätte.
„Rick hat Rachel erzählt, dass er die ganze Nacht auf die Polizei gewartet hätte“, fuhr Melody unbeeindruckt fort. „Aber sie kam nicht. Er konnte es gar nicht fassen, dass Justin tatsächlich den Mund gehalten hatte.“
„Mom“, rief Justin gequält. „Sag Melody, sie soll endlich damit aufhören.“ Er sah aus, als ob er seine Schwester am liebsten gewürgt hätte.
„Also ich finde Melodys Geschichte sehr interessant“, bemerkte David gelassen.
Nan zuckte innerlich zusammen. Wusste er denn nicht, was er da sagte? Wie wollte er Justins Vertrauen gewinnen, wenn er ihn so vor den Kopf stieß.
Melody wandte sich David zu. „Irgendjemand hätte mir ja sagen können, dass die Polizei bei uns im Haus war. Hier erzählt mir auch nie jemand etwas.“
Brenda kräuselte ihre hübsche Stirn und sah ihren Bruder fragend an. „Die Polizei? Was hast du gemacht, Justin? Bist du tatsächlich ein Held?“
Melody stieß einen verächtlichen Laut aus. „Er ist kein Held, Brenda. Nur geistig Behinderte wie Rick und Pete denken so.“
„Melody hat Recht“, warf Nan ein. „Justin ist kein Held. Er und seine Freunde haben ein Fenster in Mr. Harpers Drugstore eingeschlagen.“
Brenda sah ihren Bruder entsetzt an. „Unabsichtlich?“
Justin schüttelte den Kopf.
Brendas Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an. „Oh, Justin. Hast du vergessen, dass es böse ist, so etwas zu tun?“
Justin verzog trotzig das Gesicht, aber Nan konnte die Unsicherheit und Scham in seinen Augen sehen. Offensichtlich war es ihm doch nicht egal, was seine kleine Schwester von ihm dachte.
„Ich habe es nicht vergessen, Bren. Ich habe mich einfach daneben benommen“, gab Justin schließlich kleinlaut zu.
Brenda nickte, als ob sie genau verstehen würde, was er meinte.
Justins Ehrlichkeit und Brendas Akzeptanz gaben Nan einen
Weitere Kostenlose Bücher