Tränen des Mondes
über das ungleiche Paar wundern – der rauhbeinige Abenteurer mit dem zwielichtigen Ruf und die modische, wenn nicht gar aufgetakelte Schöne, die an die Aufmerksamkeiten um sie herumscharwenzelnder vermögender Männer gewöhnt war. Dennoch, Gunther und Amy hatten beide erkannt, daß sie vieles gemein hatten.
Sie betrachteten sich als Spielernaturen, bereit zum Risiko, vorausgesetzt, daß der Gewinn hoch genug ausfiel. Sie benutzten rücksichtslos andere Menschen für ihre Zwecke, das war ein Teil ihrer Philosophie, jede Gelegenheit am Schopf zu packen, ohne Reue oder Schuldgefühle, wenn andere darunter zu leiden hatten. Jeder von beiden bekannte sich dazu, daß er sich selbst an die erste Stelle setzte, und betrachtete diese Haltung als Tugend.
Gunther war noch nie einer solchen Frau begegnet. Frauen waren für ihn bewegliche Habe, nützlich zur Befriedigung all seiner Bedürfnisse, überall und jederzeit verfügbar, wann immer er sie haben wollte. Doch er erkannte bald, daß Amy genau wie er daran gewöhnt war, das Kommando zu führen. Sie besaß einen starken Willen und war trotz ihrer niedlichen Hülle bereit, mit Zähnen und Klauen für ihre Ziele zu kämpfen, daran hatte Gunther keinen Zweifel. Sie war ungeduldig und wollte das schnelle, leichte Geld machen. Gunther konnte sich nicht vorstellen, daß sie noch viel länger in Broome herumsitzen würde. Doch einen Plan auszuhecken, um Tyndalls Reichtum an sich zu raffen, war offensichtlich schwieriger, als sie erwartet hatte. Um zu kriegen, was sie wollte, würde Amy ihren Körper genauso bereitwillig einsetzen wie ihren Kopf. Sie war in ihrer Vergangenheit sicher nicht zimperlich gewesen, aber in Tyndall hatte sie ihren Meister gefunden.
»Diese Hennessy hat ganz schön viel Macht über ihn«, erzählte sie Gunther eines Tages im
Weißen Lotus
, wo sie ihren Nachmittagstee einnahmen.
»Was willst du dagegen unternehmen?«
»Ich dachte, ich hätte die Trumpfkarte in der Hand, weil ich seine rechtmäßige Frau bin, aber das nutzt mir nicht viel, wenn seine sämtlichen Vermögenswerte im Geschäft stecken.«
»Was ist mit den Perlen? Ich habe gehört, die Ausbeute wäre in dieser Saison mehr als reichlich gewesen.«
Amy lächelte ihm ironisch zu. »Genau auf solche Vermögenswerte hoffte ich, zugreifen zu können.«
»Aha, du siehst dich also schon in dieser kleinen Stadt – oder sonstwo – herumstolzieren, über und über behängt mit märchenhaften Perlenketten.«
»Ganz und gar nicht. Ich betrachte sie als Mittel zum Zweck.«
»Hast du eine bestimmte Idee oder einen Plan?« Er hob die Augenbrauen.
»Noch nicht. Aber ich bin für alle Vorschläge offen.«
»Wenn du dir diese Vermögenswerte beschaffen könntest, würdest du es in Erwägung ziehen, wenn ich dir einen Deal vorschlage?«
»Einen Deal mit dir?«
»Spielt das eine Rolle?« Er grinste breit.
»Aber sicher, ich glaube, das könnte entschiedene Vorteile haben.« Nach diesem Geplänkel wurde sie ernst. »Aber ich muß das Kapital erst, äh – erwerben, sagen wir mal.«
»Das ist dein Problem.«
»Vielleicht könntest du mir ein paar nützliche Tips geben? Wann werden die Perlen verkauft? Wo werden sie aufbewahrt?«
»
Star of the Sea
läßt die Perlen bei Metta polieren. Wenn er damit fertig ist, wandern sie wahrscheinlich in den Bürosafe, bis sie zum Verkauf per Schiff in den Süden transportiert werden.«
»Kleine Herausforderung für mich, was?« Sie lächelte ihn an.
Amy erledigte ihre Hausaufgaben: Auf ihrer Runde durch die Stadt stattete sie Tyndalls Büro einen Besuch ab. Ein Kupanger döste unten neben der Treppe vor sich hin, sprang aber bei Amys Ankunft auf die Füße. »Niemand da, Mem. Alle draußen … auf See.«
»Alle?«
»Nein, ein paar arbeiten unten im Ufercamp. Kann ich helfen, Mem?«
»Gib mir den Schlüssel. Ich weiß, was ich will.«
Der Junge schüttelte ängstlich den Kopf. »Ahmed sagt, ich darf niemand Schlüssel geben.«
»Ganz recht. Aber damit bin doch nicht ich gemeint, Mem Tyndall. Ich habe etwas zu erledigen. Jetzt gib mir den Schlüssel, ich brauche ihn nur eine Minute.« Sie streckte die Hand aus und funkelte ihn drohend an.
»Sie geben zurück in eine Minute?«
»Selbstverständlich. Warte hier.« Amy eilte die Treppe hoch.
Sie schloß die Tür zu Tyndalls Büro auf und ließ den Blick über die verstreuten Ausrüstungsteile schweifen, die Taue, die Whiskyflaschen, die über das alte Sofa geworfene Decke. Sie blätterte kurz
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