Tränen des Mondes
die Papierstapel auf seinem Schreibtisch durch, fand aber nichts Interessantes und wandte ihre Aufmerksamkeit deshalb dem Safe zu. Das würde schwierig werden, doch eine geschickte Person mit den richtigen Kenntnissen könnte das Schloß möglicherweise knacken. Sie zog die linken und rechten Schreibtischschubladen auf, wühlte ihren Inhalt durch und nahm eine Mappe heraus, in der die Perlenverkäufe in allen Einzelheiten festgehalten waren. Dann öffnete sie die mittlere Schublade. Darin lagen eine halbe Flasche Rum und ein Schlüsselbund.
»Mem? Sie noch da, Mem?«
»Ja, ich komme schon.« Hastig warf Amy die Tür zu und schloß sie mit einem der Schlüssel ab, die sie aus dem Schreibtisch genommen hatte. Lächelnd schob sie den Schlüsselbund in ihre Tasche und ging hinunter.
»Ich habe das Büro schon zugeschlossen. Du brauchst nicht mehr hinaufzugehen.«
»
Terimah kasi
, Mem.« Er steckte den Schlüssel ein und setzte sich wieder auf seinen Stuhl.
Die nächste Nachricht, die sie von Karl Gunther erhielt, war eine Einladung zum Abendessen. Es war schon dunkel, als sie in dem Sulky aufbrach, das er ihr geschickt hatte. Am Kai half ihr der Fahrer beim Aussteigen. Wortlos folgte sie ihm den Anlegesteg entlang, an mehreren dunklen Schiffen vorbei bis zu der Stelle, wo Gunthers rot-schwarzer Schoner vertäut lag. Eine Laterne brannte oben am Mast. Gunther erschien an Deck und half ihr an Bord.
»Warte unten in der Kabine, wir fahren in die Bucht hinaus. Es ist bald Ebbe, und ich will nicht im Schlamm steckenbleiben. Ich finde es immer gut, wenn ich mich schnell aus dem Staub machen kann.«
»Ich auch. Was soll ich in diesem Fall tun? Etwa schwimmen?«
»Du bist jetzt wohl oder übel meiner Gnade ausgeliefert.«
Sie gingen vor Anker, und das einzige Besatzungsmitglied verdrückte sich unauffällig.
Gunther goß sich ein Glas Rum ein. »Ich hab nichts anderes.« Er goß einen Schuß in ein zweites Glas und schob ihr eine Flasche Limonade hin. »Damit kannst du ihn verdünnen.«
»Ich kann nicht behaupten, daß das mein Lieblingsgetränk wäre«, sagte Amy. »Aber der französische Champagner kommt wohl erst, wenn ich auf die Goldader gestoßen bin, was? Also erzähl mir, worum es geht.«
»Piraten, meine Liebe, Piraten.«
Amy wurde blaß. »Also auf so was laß ich mich nicht ein, Karl«, fuhr sie entrüstet auf. »Mann, so wie du aussiehst, könntest du leicht selbst als Pirat durchgehen, aber mit mir brauchst du bei deinen tollkühnen Wahnvorstellungen nicht zu rechnen.« Sie machte eine Pause, dachte einen Augenblick nach, legte dann den Kopf auf die Seite und fragte vorsichtig: »Oder spricht vielleicht der Rum aus dir?«
Gunther warf den Kopf zurück und brach in ein brüllendes Gelächter aus. »Amy, du machst mir Spaß! Nein, wir werden nicht selber Piraten spielen, sondern einfach mit ihnen Geschäfte machen.« Er streckte den Arm mit der Rumflasche aus und füllte ihr Glas nach.
»Ich wußte nicht, daß Piraterie immer noch als Geschäft betrieben wird«, erwiderte Amy, halb verblüfft, halb amüsiert über den Vorschlag. »Du meinst, so richtig mit Totenschädel und Knochen auf der Flagge und so?«
»In gewisser Weise ja. In der Sulu-See nördlich von hier ist die Freibeuterei für einige der Eingeborenen sozusagen eine Lebensform, mein Täubchen. Die fahren nur auf kleinen Schiffen, trotzdem verdienen sie nicht schlecht dabei. Das Problem ist nur, daß die Kolonialregierungen eine wachsende Zahl von Patrouillenschiffen mit Gewehrschützen einsetzen, die den Piraten eins vor den Latz knallen. Und an diesem Punkt steigen wir ein. Gewehre, Amy.«
»Klingt gefährlich«, sagte sie reserviert.
»Ist es aber eigentlich gar nicht«, erwiderte er mit einer wegwerfenden Handbewegung und lehnte sich mit seinem Drink an die Schiffswand zurück. »Der Trick besteht darin, bessere Gewehre zu haben als die, mit denen du handelst.«
»Und damit ist viel Geld zu holen?«
»Geld nicht … aber Gold. Viel einfacher wieder loszuwerden, du brauchst dich nicht mit Banken rumzuschlagen, die vielleicht unangenehme Fragen stellen. Außerdem, die in der Sulu-See haben das Gold gehortet, du brauchst also auf die Bezahlung nicht lange zu warten. Die sind bereit, große Summen für die neuesten Waffen hinzulegen, vor allem für einige der neuen amerikanischen Fabrikate.«
»Und wo kriegen wir eine Ladung amerikanischer Gewehre her? Von
Streeter & Male's
vielleicht?«
Gunther brüllte wieder vor Lachen,
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