Tränen des Mondes
versetzen mich stets in Erstaunen, wenn ich über Ihr Leben nachdenke. Ein solcher Mut, ein solcher Durchhaltewille, wenn Widrigkeiten auftauchen, vor denen andere kapituliert hätten. Sie sind stark und fürsorglich, Olivia, und eine Quelle des Lebensmuts für andere.«
»Von Ihnen habe ich gelernt, daß anderen zu helfen Balsam für die eigenen Wunden ist. Mein lieber Gilbert, Sie sind ein so guter Mensch.« Sie lächelte ihn zärtlich an und einen Moment lang hätte Gilbert sie am liebsten in seine Arme gerissen und ihr Gesicht mit leidenschaftlichen Küssen überhäuft. Doch er erwiderte nur ihr Lächeln und strich ihr über die Hand.
Als sie aus dem Zug stiegen, trat ein junger Mönch zu ihnen und fragte, ob sie auf dem Weg zum Kloster von New Norcia wären. »Ich habe eine Kutsche für Sie und bin sicher, daß Ihnen die Fahrt gefallen wird.«
Die staubige Straße wand sich durch eine spärlich mit Bäumen bestandene, offene Landschaft. Der junge Mönch plauderte über die Schulter nach hinten und erzählte ihnen von den vielen verschiedenen Seiten eines Lebens im Kloster.
»Was für ein Mensch ist Pater Torres?« erkundigte sich Olivia.
»Sehr klug, er hat an der Universität von Barcelona Kunst und Naturwissenschaften studiert und unterrichtet Mathematik und Physik.«
»Ich habe gehört, er besitzt auch Kenntnisse in Medizin«, sagte Gilbert.
»Das stimmt, das war für uns schon sehr nützlich. Auch in Philosophie und Musik ist er bewandert.«
Die ersten Anzeichen für die Bewohntheit der Gegend waren wohlgepflegte Weinfelder.
»Wir Benediktiner sind berühmt dafür, daß wir überall, wohin wir auch ausschwärmen, erst einmal Rebstöcke pflanzen«, grinste ihr Kutscher.
Sie fuhren an Obstgärten, gepflügten Feldern und mehreren Scheunen und Bauernhöfen vorbei, und bald kam eine wie eine kleine Stadt anmutende Ansiedlung in Sicht. Gilbert und Olivia machten aus ihrer Bewunderung keinen Hehl, als sie vor dem Kloster hielten, einem imposanten, honigfarbenen Steingebäude.
Der Mönch führte sie durch einen stillen Gang zum Empfangsraum, wo ihre Begegnung mit Pater Fulgentius Torres stattfinden sollte. Der gutaussehende spanische Priester begrüßte sie herzlich und bot ihnen vor dem Mittagessen ein Glas von dem Klosterwein an.
»Ich habe von der guten Arbeit gehört, die Ihr Orden hier bei den Aborigines leistet, Pater. Dieses Kloster übersteigt alle Erwartungen, die ich von einer Buschmission hatte«, sagte Gilbert.
»Bischof Salvado hat Großartiges vollbracht. Jetzt habe ich sein Amt geerbt und trage mich mit Plänen, der Mission eine neue Richtung zu geben und sie zu einem Ausbildungszentrum für Aborigines zu machen. Unter meiner Aufsicht wird auch ein Internat für Mädchen gebaut, das St. Gertrude's College.«
»Wer wird es leiten?« fragte Olivia.
»Der neue Schwesternorden von St. Joseph vom Heiligen Herzen. Aber nun erzählen Sie mir doch von Ihren Plänen, in Fremantle ein Mädchenheim zu eröffnen.«
»Viele der Findelkinder und verlassenen Mädchen, die wir vorübergehend betreut haben, werden zu den Barmherzigen Schwestern nach Subiaco geschickt. Die Jungen werden im Waisenhaus in Clontarf gut versorgt. Unser Heim ist nur klein, eine Art Zwischenstation für junge Frauen in Notlagen«, erklärte Olivia.
Pater Torres gab ihnen wertvolle Tips, Ratschläge für das Sammeln von Spenden und Warnungen vor den Fallstricken, mit denen wohltätige Aktivitäten zu kämpfen haben, wenn ihnen nicht von einer großen Institution der Rücken gestärkt wird. »Wir haben aus unseren Erfahrungen viel gelernt.«
»Lernen Ihre Schüler auch etwas über die Kultur der Aborigines?« erkundigte sich Olivia.
»Ich bin hier erst 1901 angekommen und weiß kaum etwas von den Sitten der Eingeborenen«, gab er zu. »Außerdem zielt unsere Ausbildung darauf ab, daß die Kinder nicht nur den Weg zu Gott finden, sondern sich auch möglichst gut in die Gesellschaft einfügen lernen. Bischof Salvado schwebte es vor, die Benediktinerregel auch in der Arbeit mit den Aborigines anzuwenden – Beständigkeit, harte Arbeit und Glaubenstreue. Wir planen auch ein Internat für Jungen, das St. Ildephonsus College. Marienbrüder aus Frankreich werden seine Leitung übernehmen.«
»Verglichen mit Ihren Plänen denken wir nur in einem sehr kleinen Maßstab«, sagte Gilbert.
»Dr. Shaw, jeder Trost und jede Unterstützung, die Sie diesen jungen Menschen in ihrer Not anbieten können, ist von großem Wert. Ich
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