Tränen des Mondes
Sonne döste.
»Das ist unfaßbar. Ich muß immer an Yoshi und Taki und ihre Familien denken und an die wunderbaren Zeiten, die wir miteinander erlebt haben«, sagte Olivia mit Tränen in den Augen.
»Verdammt heikle Lage für unsere Japaner hier. Ich schau mal ins Conti runter, was los ist.«
Olivia sah Tyndall liebevoll an. »Im Conti wird's turbulenter zugehen als im Kriegskabinett.«
Der Friedensrichter wußte, wo die wichtigsten Leute der Stadt zu finden waren, und trat mit düsterer Miene ins Conti. Im selben Moment wie Tyndall gesellte er sich zu der Gruppe auf der Veranda. »Üble Sache. Habe gerade Nachricht erhalten, wir müssen alle Japaner zusammentrommeln.«
»Unsere Japaner? Die Hälfte von ihnen ist immer noch draußen auf See, auf den Loggern.«
»Könnten aber auch schon auf halbem Weg nach Japan sein«, witzelte einer der Männer, der aber schnell verstummte, als er seinen Ausrutscher bemerkte.
»Was sollen Sie denn mit denen machen? Sie zurückschicken? Ich glaube nicht, daß sie von hier wegwollen«, sagte Tyndall.
»Ich muß sie inhaftieren.« Der Friedensrichter seufzte. »Kommt mir verdammt albern vor. Ich bezweifle, daß die Burschen eine Bedrohung für das Land darstellen. Außerdem haben wir im Gefängnis nicht genug Platz.«
»Wer wird es ihnen sagen?« fragte Tyndall leise.
Der Friedensrichter heftete seinen Blick fest auf Tyndall, den ältesten und angesehensten der Perlenunternehmer. »Ich hatte gehofft, Sie würden das übernehmen.«
Tyndall kleidete sich mit großer Sorgfalt in seine weiße Uniform, knöpfte den Kragen zu, band die Schnürsenkel seiner frisch geweißten Schuhe zu, setzte sich seine Kapitänsmütze auf und begab sich schweren Herzens zum Kai, wo der Polizeisergeant schon auf ihn wartete. Der Friedensrichter hatte verfügt, daß sich alle Bürger japanischer Nationalität dort einzufinden hätten.
Am Ufer standen an die hundertfünfzig Männer.
»Guten Tag, Sergeant MacIntyre. Wie ist das weitere Vorgehen hier geplant?«
»Mir wurde gesagt, der Friedensrichter hätte Sie mit der Sache beauftragt. Wenn Sie nun die Ankündigung machen wollen?«
Tyndall nickte und ging langsam auf die Gruppe zu. Der Sohn Takahashis, der zum Sprecher gewählt worden war, löste sich aus der Menge und kam ihm entgegen.
Tyndall nahm seine Mütze ab und klemmte sie unter den Arm. »Guten Tag, Takahashi San. Sie haben die Nachrichten gehört, nicht wahr?«
»Ja, Kapitän. Gefällt uns nicht. Nicht gut für niemand.«
Tyndall blickte in die Runde, in ernste, betroffene Gesichter, die ihn nicht aus den Augen ließen.
»Was machen wir jetzt, Kapitän?«
Tyndall holte tief Luft und erklärte langsam, wie sich die Situation der australischen Regierung darstellte: daß die Japaner nun als feindliche Ausländer gälten, zu verhaften seien und im Gefängnis und in Internierungslagern auf das Ende des Krieges zu warten hätten.
Es entstand ein leises Gemurmel, doch niemand regte sich. Tyndall sah in die Gesichter der Männer, die er seit so vielen Jahren kannte. Auch sie waren denselben Träumen nachgejagt, hatten gegen dieselben Gefahren des Meeres gekämpft, über und unter Wasser, hatten ihr Glück gefeiert und ihre traditionellen Feste. Sie gehörten genauso wie alle anderen zur verschworenen Gemeinschaft der Bewohner von Broome.
Takahashi verbeugte sich vor Tyndall. »Wir verstehen, Kapitän. Sagen Sie dem Friedensrichter und dem Sergeant, daß wir hingehen, wo er uns hinschickt.« Dann richtete er sich auf und lächelte schmerzlich. »Leider. Im Moment gute Muscheln draußen.«
Das Gefängnis und das benachbarte Grundstück quollen über vor japanischen Tauchern, Matrosen, Arbeitern und Geschäftsleuten – manche waren mit ihren Familien gekommen, mit ihren Kindern, die alle in Australien geboren waren. In der schwülen, brütenden Sommerhitze herrschten in dem kleinen Gefängnis fürchterliche Bedingungen. Wer nicht mehr hineinpaßte, wurde in dürftigen Behelfsbaracken neben dem improvisierten Lager untergebracht, das die Japaner selbst errichten halfen.
Die anderen Stadtbewohner taten sich zusammen, und die Frauen arbeiteten Dienstpläne aus, nach denen sie zu Hause gekochte Mahlzeiten und kleine Gebrauchsgegenstände ins Gefängnis brachten, um den Japanern den Aufenthalt dort etwas angenehmer zu machen.
Im vollen Amtsornat inklusive Federhut hielt der Friedensrichter eine Ansprache an die versammelten ›Gefangenen‹ und nahm zerknirscht ihre Geduld und
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