Tränen des Mondes
während sie rannten, sahen sie, wie es über dem hinteren Teil des Hauses, ihrer Schlafkammer, zusammenbrach. Wie ein gefräßiges Monster verschlang das Feuer ihr kleines Haus, noch angefacht vom heißen Atem des Windes. Unter verzweifelten Schreien versuchte Conrad, sich einen Weg durch die Flammen zu bahnen, aber brennende Asche und fliegende Funken versengten seine Haut, und der Rauch erstickte ihn fast. Olivia nahm ihre eigenen gellenden Schreie gar nicht mehr wahr. Sie griff nach ihrem Mann und beide gingen zu Boden, klammerten sich wie tödlich getroffen aneinander, während vor ihren Augen ihr Sohn und ihre Zukunft zugrunde gingen.
Im Busch herrschte Grabesstille. In den verkohlten Bäumen um das Haus sang kein Vogel, keine Kreatur rührte sich. Olivia wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war. Reglos hockte sie an dem Grab. Vor ihren Augen spielte sich immer wieder die gleiche traumatische Szene ab, spulte zurück und ereignete sich von neuem. Und sie konnte nichts dagegen tun, nichts mehr ändern an dem Geschehen, das sich grausam in ihre Seele gebrannt hatte. Sie zerkrümelte eine Handvoll roter Erde auf dem winzigen Grab. Die Erde färbte ihre verbrannten, mit Blasen überzogenen Hände. Sie hatte einen kläglichen Versuch gemacht, das wilde Ding, das ihr den Sohn geraubt hatte, zu packen. Olivia gab sich ihrem Schmerz hin, indem sie vor dem Erdhügel mit dem schlichten Holzkreuz kniete und ihre Hände in die trockene rote Erde krallte.
Als sie Schritte hinter sich hörte, rührte sie sich nicht. Sie konnte Conrads trauernden Blick nicht ertragen, so wie sie auch jeden seiner gutgemeinten Tröstungsversuche vehement zurückwies.
Nach einem leisen Räuspern sagte eine Männerstimme: »Mrs. Hennessy …ich finde keine Worte …«
Olivia hob langsam den Kopf. Ihre Augen begegneten dem besorgten Blick von Kapitän John Tyndall. Er nahm seinen Hut ab und ging neben ihr in die Hocke. Sie antwortete nicht, nahm seine Anwesenheit nicht einmal zur Kenntnis.
»Ich habe Ihre Vorräte mitgebracht. Ich hatte gehofft, daß Sie hier gut vorankommen, mit dieser … Tragödie habe ich nicht gerechnet. Ich würde gerne etwas Tröstendes sagen, aber …« Was er sah, ihren verwundeten Blick, ihren in sich zusammengesunkenen Körper an dem kleinen Grab, berührte ihn zutiefst. Er mußte daran denken, wie er diese Frau allein am Strand vorgefunden hatte, voller Lebensmut und Kraft nach der Geburt ihres Kindes. Tyndall nahm Olivias Hand in die seine und streichelte sie tröstend.
Schließlich sprach Olivia flüsternd: »Er war nicht getauft. Wir wollten ihn James nennen. Er wird nicht in den Himmel kommen … jetzt muß er für immer hierbleiben … ganz allein …« Tränen liefen ihr über die Wangen.
Tyndall wußte zunächst nicht, was er sagen sollte. Er drückte ihre Hand noch etwas fester. »Sagen Sie, haben die Aboriginefrauen, die Ihnen bei der Geburt geholfen haben, nicht etwas Besonderes mit ihm gemacht?«
Sie nickte und schilderte kurz und so gut sie konnte das kleine Ritual, das sie beobachtet hatte. Ein zaghaftes Leuchten trat in ihre Augen, als sie ihn eindringlich ansah. »Was hat das zu bedeuten?« fragte sie.
»Es bedeutet, daß ihr Sohn gut aufgehoben ist. Er ist in die Heimat seiner Seele zurückgekehrt. Das war eine Geburtszeremonie. Die Aborigines glauben, daß der Geist zu seinem Geburtsort zurückkehrt, zu seinem Platz in der
Traumzeit
. Da wird er Frieden und Glück finden und in die Welt seiner Seele zurückkehren können. Ohne Zweifel, ihr Sohn wurde getauft, Mrs. Hennessy … auf Aborigineart.«
Sie starrte ihn ungläubig an. Einen Moment lang wurde ihr verhärmtes Gesicht vor Erleichterung ganz weich. Sie wollte sich wieder dem Grab zuwenden, aber Tyndall nahm ihren Arm und half ihr auf. »Lassen Sie uns gehen«, sagte er leise. »Ich bringe Sie beide zurück in die Stadt. Sie können in meinem Haus bleiben, so lange Sie wollen. Ich wohne auf meinem Boot.« In Erwartung ihres Protestes fügte er noch hinzu: »Nein, ich versichere Ihnen, daß es mir keine Umstände macht. Ich bin sowieso damit beschäftigt, einiges an Bord zu ändern. Ich bereite mich auf ein neues Geschäft vor.«
Tyndall hielt ihren Arm, und sie gingen schweigend zu dem Zelt, das Conrad neben der Ruine ihres Hauses aufgeschlagen hatte. Mit hängenden Schultern und ohne Kraft versorgte Conrad gerade Tyndalls Pferde. Er sah aus wie ein alter Mann. Olivia verschwand im Zelt, während Tyndall auf Conrad zutrat.
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