Tränen des Mondes
Er langte in eine Tasche unter dem Kutschbock und zog eine Flasche hervor.
»Die Sonne steht zwar noch nicht überm Nock, Mr. Hennessy«, sagte er und schwenkte die Flasche. »Aber ich behaupte mal, es ist trotzdem die richtige Zeit für eine kleine Aufmunterung.«
Er griff sich zwei Emailbecher, die neben dem Feuer standen, kippte den Rest Tee, der darin war, in den Sand und goß zwei ordentliche Schluck Rum ein. Die Männer setzten sich in den Schatten des Wagens, lehnten sich gegen ein Rad und streckten die Beine aus.
»Auf die Zukunft, Mr. Hennessy«, sagte Tyndall leise und hob seinen Becher.
Conrad sah ihn aus glasigen Augen an. Er kämpfte mit den Tränen. Langsam erhob auch er den Becher. »Die Zukunft.« Er rang nach Worten. »Die Vergangenheit war bis jetzt ein einziges Unglück. Jedenfalls seit wir in dieses gottverlassene Land gekommen sind.« Er preßte sich den Becher an die Lippen und schluckte schwer.
Tyndall trank auch, dann umfaßte er seinen Becher mit beiden Händen. »Ja, dieses Land kann grausam sein. Für Sie beide war es grausamer als irgend jemand hätte voraussagen können. Aber das Leben geht weiter. Was wollen Sie jetzt machen?«
»Erst mal weg von hier«, stieß Conrad bitter hervor. »Ich bezweifle, daß wir die Kraft oder auch nur den Willen haben, es hier zu schaffen. Vielleicht gibt es ja in der Stadt eine Möglichkeit. Ich habe noch etwas Kapital übrig.«
Tyndall schwieg dazu und nippte nur gedankenvoll an seinem Rum.
Nach einer Weile sagte er: »Nun, das sind ja interessante Aussichten. Sie haben mir doch ein wenig von sich erzählt, als wir zusammen nach Cossack gesegelt sind. Mir scheint, ich habe da ein Projekt, das genau das Richtige für Sie sein könnte.«
Conrad starrte ihn an. »Und was soll das sein?« »Perlenfischerei, mein Freund. Perlen.«
Im Zelt war Olivia damit beschäftigt, die Handvoll roter Erde, die sie vom Grab mitgebracht hatte, vorsichtig in ein kleines Glas zu füllen. Danach schraubte sie den Deckel fest zu. Sie preßte die Lippen zusammen, verstaute das Glas in dem Koffer mit ihren verbliebenen Sachen und ging nach draußen zu den Männern.
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Siebtes Kapitel
L angsam suchten sich die drei Männer einen Weg durch das Watt. Sie bemühten sich, nicht auf die im öligen, roten Schlick verborgenen scharfen Spitzen der neuen Sprößlinge zu treten, und duckten sich unter dem ausladenden Dach der Mangroven. Endlich erreichten sie an einer lichten Stelle den Logger. Das alte Boot lag in feuchte Säcke gehüllt wie eine verschleierte Braut auf der Seite.
Conrad sah zu, wie Ahmed um das Boot herumging, hier und da gegen den Rumpf klopfte und versuchte, in den Schiffsbauch zu spähen.
Tyndall kletterte an Deck und begutachtete die Takelage, Beschläge und Armaturen. Gedankenvoll wandte er sich an Ahmed, der gerade aus der Luke im Vorderdeck kletterte. »Und, was meinst du, Ahmed? Sollen wir uns mit ihr aufs Meer wagen?«
»Man muß sie segeln, Tuan.«
»Das ist wohl der einzige Weg herauszufinden, ob ein Schiff seetauglich ist«, meinte Conrad. Er nahm seinen Hut ab und wischte sich die Stirn. Die schwüle Hitze unter den Mangroven machte ihm schwer zu schaffen.
»Das wird der Probelauf. Ahmed kann danach beurteilen, ob sie gut im Wasser liegt und ob er sie für ein, wie er es nennt,
setia
-Boot, das heißt, für ein zuverlässiges Boot, hält«, erklärte Tyndall. »Ahmed hat ein Gespür für Schiffe wie andere Männer für Pferde. Dies ist zwar ein alter Kahn, aber er ist ordentlich gebaut. Er wurde im Binnenland aus Kajibutholz gefertigt und dann auf Rädern zur Küste gerollt. Bis jetzt hat er gute Dienste geleistet.«
Bei Flut machten sie die
Bulan
fit. Conrad bewunderte, wie harmonisch Tyndall und Ahmed zusammenarbeiteten. Er saß lediglich an Deck und wartete auf Anweisungen. Würde er sich je auf See zu Hause fühlen? Die Segel blähten sich, und das Schiff steuerte durch den Kanal aufs offene Meer. Conrad atmete tief durch. Er war froh, endlich die stickige Luft des Watts hinter sich zu lassen. Wind und Gischt kühlten seine Stirn, und er begann zu ahnen, was Tyndall am Seemannsleben so gefiel. Nie hätte er sich träumen lassen, daß er jemals so etwas – ihm fehlten die Worte, um seine zwiespältigen Gefühle zu beschreiben – so etwas ›Freibeuterhaftes‹, ja, genau das traf es, so etwas ›Freibeuterhaftes‹ wie die Perlenfischerei betreiben würde. Es war ein langer Weg vom
Bon Marché
, dem Kaufhaus von Olivias
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