Tränen im Regen
Vater hat uns ja vorgewarnt, aber das toppt alles. Runter von dem Stuhl, du Idiot.“
„Mir ist aber langweilig.“
„Dann geh' deinem Freund, meinem Sohn, auf die Nerven“, fluchte Colin erbost. „Da sieht man fünf Minuten nicht hin und schon putzt der Kerl unsere Küchenlampe. Ich glaub's einfach nicht. Dale! Sieh zu, dass du von dem Stuhl runterkommst, sonst setzt es was!“
Dale lachte und Kilian wandte sich kichernd wieder seinem Block zu. Es war erstaunlich, welche Ausdauer Dale in den letzten Tagen entwickelt hatte, um Colins Nerven zu strapazieren. Mal sehen, was Mikael nächste Woche alles aushalten musste, denn laut Dales Arzt, der im Übrigen nicht begeistert darüber gewesen war, dass Dale das Krankenhaus auf eigene Faust verlassen hatte, würde seine Schusswunde durch die fehlende Ruhestellung etwas länger brauchen, um auszuheilen. Im Klartext hieß das, Dale war krankgeschrieben und dazu verdonnert worden, sich zu schonen. Abgesehen von leichter Krankengymnastik. Ergebnis davon war, dass Dale praktisch zum Nichtstun verdammt war und sich deshalb tierisch langweilte.
Dale ließ sich mit einem lauten Seufzen auf den Liegestuhl neben ihn sinken. „Mir ist langweilig.“
Kilian grinste. „Ach so? Wäre mir gar nicht aufgefallen.“
„Pfft.“
„Man könnte auf die Idee kommen, du hättest Hummeln im Hintern“, neckte er Dale amüsiert, was ihm einen finsteren Blick einbrachte. Kilian zwinkerte Dale zu und drehte den Zeichenblock herum, sodass Dale einen Blick auf sein neues Bild werfen konnte. „Was hältst du davon?“
„Wer ist sie?“ Dale betrachtete die Zeichnung neugierig.
Kilian lächelte. „Meine Mum.“ Er wusste nicht, warum er vor einer Weile damit angefangen hatte, sie aus der Erinnerung heraus zu zeichnen, aber Kilian wusste, was er mit dem Bild tun würde, wenn es fertig war. Colin hatte im September Geburtstag und dieses Bild von Gwen war genau das richtige Geschenk für seinen Dad. „Ich schenke es Colin zum Geburtstag.“ Dale nickte mit einem verstehenden Lächeln und lehnte sich dann auf dem Liegestuhl zurück. Kilian machte es ihm nach, während er damit begann, seine Zeichnung zu verfeinern. „Hast du dich eigentlich schon entschieden, was du mit deiner Alibi-Wohnung machen wirst?“
„Kündigen, sobald ich kann. Mein Boss hat mir befohlen, bis auf Weiteres aus der Schusslinie zu bleiben, und von dem Undercoverjob bin ich eh abgezogen. Sie wollen nicht riskieren, dass irgendwer zu großes Interesse an mir entwickelt, was mir auch ganz lieb ist. Vor allem solange meine Schulter nicht ausgeheilt ist und ich mich nicht vernünftig verteidigen kann.“
Kilian verzog das Gesicht und korrigierte eine feine Linie an der Augenpartie. „Mit diesem Gerede machst du mich nervös.“
„Ich weiß.“ Dale lächelte, als Kilian ihn daraufhin ansah. „Aber lieber mache ich dich ein wenig nervös, als ständig um den heißen Brei herumzureden. Das ist nichts für mich und du würdest es mir auf die Dauer übelnehmen, oder etwa nicht?“
Kilian seufzte. „Doch, würde ich.“
Dale nickte zufrieden und Kilian wandte sich wieder der Zeichnung zu. „Eben. Ich werde mich also weiter auskurieren, im Hintergrund ermitteln, sobald ich darf, und meine Wohnung kündigen, sobald du nicht mehr aussiehst, wie ein Reh auf der Flucht, so wie bei meiner Ankunft, als ich meine Sachen in deinen Schrank geräumt habe.“
Kilian zuckte ertappt zusammen und versaute dabei den Strich am unteren Augenlid. „Mist.“
Dale lachte leise. „Ja, ich habe das bemerkt. Mir entgeht nicht viel, was dich angeht.“
Damit erzählte Dale ihm nichts Neues. Kilian korrigierte das Lid, versetzte die Augenbrauen etwas nach oben und zeichnete danach die Nase fertig, während er gleichzeitig überlegte, was er jetzt sagen sollte. Er wollte, dass Dale bei ihm wohnte, aber gleichzeitig war der Gedanke beängstigend. Jeden Tag aufs Neue. Der erste Blick auf die Ablage über dem Waschbecken im Bad hatte ihm eine Gänsehaut am ganzen Körper eingebracht, weil Dales Sachen im ersten Moment eine Bedrohung gewesen waren. Mittlerweile hatte er sich an den Anblick gewöhnt, aber an der Tatsache, dass sie jetzt ein richtiges Paar waren, hatte er noch zu knabbern.
„Das ist alles etwas beängstigend, so schön ich es gleichzeitig finde“, gab Kilian schließlich zu, als das Bild fertig war und sah zu Dale, der nickte.
„Das ist es für mich auch, aber im Notfall schreien wir uns eben an, dass die Wände
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