Tränen im Regen
nichts ändern.“
„Warum?“ Kilian wollte Niko tatsächlich schlagen und schämte sich gleichzeitig dafür. „Verdammt nochmal, hör' endlich auf, dich in diese erbärmlichen Ausreden zu flüchten. Alex ist dein Bruder! Bedeutet er dir wirklich so wenig, dass du nicht den Mumm hast, ihm die Chance zu geben, sich zu entschuldigen?“
„Ich kann das nicht!“, schrie Niko ihn da auf einmal an, doch das war es nicht, was Kilian so vollkommen entsetzte. Es waren die Tränen in Nikos Gesicht, die ihm plötzlich ungehemmt über die Wangen liefen. „Ich kann ihm nicht beim Sterben zusehen. Ich kriege das nicht auf die Reihe, okay? Ich bin nicht so stark wie ihr, Mik oder Colin. Es bringt mich um. Jedes Mal, wenn er mich ansieht und lächelt, in der Hoffnung, dass ich ihm verzeihe, was ich nicht kann, weil... weil...“
„Weil?“, hakte Dale nach, als Niko verstummte und sich abwandte, während Kilian Niko fassungslos anstarrte.
„Weil es das Einzige ist, was ich ertragen kann. Wenn ich wütend auf ihn bin, muss ich nicht bei ihm sein. Dann muss ich nicht hilflos danebenstehen und zusehen, wie Alexander vor meinen Augen stirbt. Dann muss ich nicht stark für ihn sein, wie er es immer für mich gewesen ist. Hier bei mir kann ich weinen. Hier kann ich schwach sein, denn genau das bin ich. Ein Schwächling, der sich hinter der Wut versteckt, weil sie alles ist, was mir bleiben wird, wenn Alex tot ist.“
Wie blind waren sie nur alle gewesen, dass sie Nikos Kampf mit sich selbst nicht gesehen hatten? Nein, nicht alle. Colin hatte es gewusst, oder zumindest geahnt. Sein Vater hatte ihm gesagt, dass es für Niko nicht einfach war, dass er Probleme hatte, aber es wäre Kilian nie in den Sinn gekommen, dass Niko sich für einen Schwächling hielt. Sich sogar dafür schämte, weil er Gefühle hatte. Weil Alex sterben würde und er damit nicht zurechtkam. Dabei ging es keinen von ihnen anders. Sie hatten alle Angst. Panische Angst vor diesem einen Tag, an dem Alex aufhören würde zu atmen. Kilian stiegen die Tränen in die Augen, als er daran dachte, dass es bis dahin nicht mehr lange dauern würde.
„Alex hat Angst, mit dir zu reden, hat er mir erzählt. Angst vor dem, was du sagen könntest. Daraufhin habe ich ihm gesagt, dass du ihn liebst, weil ihr nun mal Brüder seid.“ Kilian trat hinter Niko und legte ihm die Hände auf die Schultern, worauf Niko erstarrte. „Er braucht dich, Niko. Er liebt dich. Sei wütend auf ihn, wenn es dir hilft, aber mach' nicht den Fehler und warte, bis es zu spät ist. Das würdest du dir hinterher nie verzeihen können, Nikolai.“
„Ich kann diesen Namen nicht ausstehen“, murmelte Niko nach einer halben Ewigkeit und lehnte sich dabei an ihn.
Kilian fiel ein Stein vom Herzen, während er Niko umarmte und zu Dale sah, der sichtlich erleichtert war. „Ich weiß, obwohl ich mir schon sehr oft die Frage gestellt habe, warum das so ist.“
„Ist eben so“, wich Niko einer Antwort aus, was Kilian erwartet hatte. Er beließ es dabei und zog Niko stattdessen an sich, um ihm zu halten und ihm zu zeigen, dass er mit seiner Angst nicht allein war. „Wolltet ihr heute nicht eigentlich essen gehen? Colin hat so was erwähnt.“
„Waren wir auch“, gab Kilian zu. „Aber ich bin viel zu abgelenkt und deswegen hat mein verständnisvoller Freund gesagt, wir verschieben das Date und fahren nach Hause, um uns mit ungesundem Kram von McDonalds vollzustopfen und dabei einen schlechten Film zu gucken. Wie sieht's aus? Hast du Lust auf eine Pyjamaparty?“
Niko lachte leise. „Okay, ich bin dabei.“
„Und morgen kommst du mit frühstücken?“
Es dauerte einen endlos langen Moment, aber dann nickte Niko und Kilian verkniff sich ein erleichtertes Seufzen. Er hatte die Frage mit Absicht gestellt, denn in diesem Fall meinte er neben frühstücken bei seinen Vätern auch, dass Niko endlich mit Alex redete und das hatte der sehr wohl verstanden. Hoffentlich würde Niko es sich morgen früh nicht wieder anders überlegen.
- 14. Kapitel -
Niko überlegte es sich nicht anders. Er sah zwar ziemlich nervös aus, als sie am nächsten Tag bei seinen Vätern eintrafen, aber er blieb. Sowohl zum Frühstück als auch danach, was vor allem Alex freute. Trotzdem dauerte es eine ganze Weile, bis die Brüder schließlich in den Garten verschwanden, um miteinander zu reden, aber selbst wenn er den ganzen Tag darauf hätte warten müssen, Kilian war einfach nur glücklich, dass Alex und Niko endlich
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