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Traenenengel

Traenenengel

Titel: Traenenengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Gehm
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Modell, das ganz flach ist und bei dem der Fahrer wie
     in einem Sessel sitzt oder beinahe liegt.
    F: Ein Liegerad?
    A: Ja, ich glaube, so nennt man das. Ich erinnere mich ganz genau, dass das Rad kein Licht hatte. Und der Fahrer fuhr sehr
     schnell. Wir hatten ihn gar nicht kommen gehört, und schon war er an uns vorbei und wieder in der Nacht verschwunden. Uns
     ist natürlich der Schreck in die Knochen gefahren, das können Sie sich ja vorstellen,wenn nachts auf einmal jemand von hinten kommt.
    F: Auf einem dunklen Feldweg. Also musste er sich gut auskennen.
    A: Durchaus möglich. Kombinieren ist Ihre Aufgabe, nicht meine. Von dem Fahrrad weiß ich sonst nicht viel mehr. Ach so, doch,
     warten Sie, es hatte sehr dicke Reifen. Wie von einem Moped oder so.
    F: Vielleicht eine Eigenkonstruktion.
    A: Wie gesagt, kombinieren müssen Sie selbst, junger Mann, da mische ich mich nicht ein.
    F: Und der Fahrer? Wie sah er aus?
    A: Also   ... hmm   ... Er hatte so einen breiten Schlapphut auf. Ob der nun schwarz, blau oder grün war, kann ich Ihnen beim besten Willen nicht
     sagen. Auf jeden Fall war er dunkel. Die Statur des Fahrers kann ich nur schätzen, da er ja lag und ich ihn auch nur von hinten
     gesehen habe. Ich meine, er war etwas untersetzt, hatte kräftige und irgendwie schiefe Schultern, aber das kann natürlich
     auch vom Fahrstil kommen. Da kenne ich mich nicht aus.
    F: Die Kleidung?
    A: Dunkel. Alles dunkel. Ach ja, und er hatte einen hellen Streifen an der Hose. Wie bei diesen Sporthosen. Und die Schuhe,
     daran erinnere ich mich jetzt auch, das warenhohe Stiefel. Ich habe mich noch gewundert, wieso jemand im Sommer so etwas anzieht.
    F: Könnten es Gummistiefel gewesen sein?
    A: Möglich. Aber ich bin mir nicht sicher.
    F: Irgendetwas anderes? Haare? Gesicht? Dick, dünn, alt, jung?
    A: Eher jung. Obwohl das auch nur eine Vermutung ist. Sein Gesicht habe ich nicht gesehen. Die Haare auch nicht, er hatte
     ja einen Hut auf.
    F: Sie sagen immer
er
– es war also auf jeden Fall ein junger Mann.
    A: Sie meinen, ob es auch eine Frau hätte sein können? Nein, das glaube ich nicht. Allerdings, wie manche Mädchen sich heutzutage
     zurechtmachen   ... Jetzt bringen Sie mich ganz durcheinander, Herr Masaryk.
    F: Verzeihung, das war nicht meine Absicht, Frau Panier. Ist Ihnen sonst irgendetwas an dem Radfahrer aufgefallen? Hat er
     irgendetwas gesagt?
    A: Nein. Er nicht. Aber Schiller. Er hat ihm nachgebellt, muss irgendetwas gewittert haben. Wissen Sie, Schiller bellt nie
     ohne Grund. Beim Radfahrer ist mir allerdings tatsächlich etwas aufgefallen. Eigentlich war es das Erste, was mir damals ins
     Auge fiel. Komisch, dass ich erst jetzt daraufkomme. Er hatte so eine eigenartige lange Stange dabei. Das eine Ende lag auf dem Lenker, das andere auf seiner Schulter.
    F: Können Sie die Stange genauer beschreiben? Wie dick war sie?
    A: Ungefähr wie ein Ampelmast, nur nicht so lang. Und sie hatte an einer Seite eine Beule. Im ersten Moment dachte ich, es
     wäre eine Waffe. Ein Gewehr, so etwas. Aber es hätte auch ein Musikinstrument sein können. Wie gesagt – der Radfahrer ist
     sehr schnell an uns vorbei.
    F: Der Radfahrer ist dann Richtung Kraldorf gefahren?
    A: Dorthin führt der Feldweg zumindest. Ich bin kurz darauf mit Schiller auf den Trampelpfad und zurück nach Hause. Er war
     immer noch etwas aufgeregt. Ich dachte, wegen des Radfahrers. Erst in der Wohnung war er wieder der Alte. Hätte ich damals
     gewusst, was in dieser Nacht am See geschah   ...
    F: Haben Sie denn gar keine Angst, so alleine nachts am See?
    A: Sehen Sie, ich bin ja nicht alleine, ich habe Schiller. Und außerdem habe ich immer ein Taschenmesser dabei. Nur für alle
     Fälle. Ich würde damit natürlich nie jemandem etwas antun.
    F: Waren Sie seit dem Abend des 2.   Juli wieder am See?
    A: Nur bei Tageslicht. Ich bin doch nicht lebensmüde und gehe nachts an einen See, an dem ein Mädchen beinahe getötet wurde
     und der Täter noch frei herumläuft. Wissen Sie, was ich mir jeden Abend vorstelle? Dass er da hockt, ganz in meiner Nähe,
     irgendwo im Gebüsch, und dass er alles beobachtet und auf seine Chance wartet. Wie ein hungriges, wildes Tier. Er ist da draußen.
     Manchmal bin ich mir ganz sicher. In der Dämmerung, wenn es in der Wohnsiedlung ruhig wird und Geräusche vom See kommen. Seit
     dieser Nacht sind sie viel lauter als früher.
    F: Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Unsere Leute haben alles rund um den See

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