Traenenengel
doch«, sagte Sälzer und deutete zum Empfangstresen. »Geben Sie es dem Kollegen dort. Der leitet alles in die Wege.«
Dann wandte er sich zum Gehen.
»Aber ...« Frau Panier sah auf ihr Messer.
Sälzer war bereits auf den Flur getreten. »Danke noch mal!«, rief er, ohne sich umzudrehen, und verschwand in seinem Büro.
Masaryk saß am Schreibtisch und telefonierte. »Sie hat ihn identifiziert?«, fragte er die Person am anderen Ende der Leitung.
Sälzer grüßte ihn kurz mit einem fragenden Blick, stellte die Teetasse ab und hängte sein Basecap über das Bonsaibäumchen,
das sein Vorgänger hinterlassen hatte und das Sälzer hartnäckig Widerstand leistete.
»Nein, das ist nicht nötig. Gut, vielen Dank.« Masaryk legte auf.
»Wer hat wen identifiziert?«, fragte Sälzer.
»Ulrike Kaltenborn hat Löffel identifiziert.«
Sälzer runzelte die Stirn.
»Löffel ist der Hund beziehungsweise war der Hund, den Olaf Kaltenborn in der Nähe des Badesees gefunden hat«, erklärte Masaryk.
»Und der gehörte seiner ... Frau?«
»Ulrike Kaltenborn ist die Schwester von Olaf Kaltenborn. Sie ist alleinstehend und wohnt mit ihrem Bruder und seiner Familie
zusammen in Kraldorf auf einem alten Bauernhof. Betreiben aber kaum noch Landwirtschaft.«
»Und der tote Hund, den Olaf Kaltenborn am See gefunden hatte, gehörte seiner Schwester? Wieso hat er ihn dann nicht erkannt?«
»Hat er. Er hat ihn selbst dorthin geschleppt. Löffel ist laut Aussage von Ulrike Kaltenborn vor drei Tagen an Altersschwäche
auf dem Hof gestorben. Sie brachte es nicht übers Herz, den eigenen Hund zu begraben, und bat ihren Bruder darum. Sie dachte,
das hätte er auch getan, doch als sie dann einen Zeitungsartikel über den toten Hund las und dazu auf dem Hof Blutspuren fand,
wurde sie misstrauisch. Sie hat ihren Bruder zur Rede gestellt. Erst hat er wohl versucht, sich herauszureden, aber dann hat
er alles zugegeben. Beziehungsweise hat er versucht, die Schwester mit ins Boot zu holen. Sie sollte ihm helfen, den Verdacht
auf Felber und den Gnadenhof zu lenken.«
»Wieso das?«
»Olaf Kaltenborn ist einer der Gegner des Gnadenhofs im Dorf. Sein Name fehlt bei keiner Anzeige und keiner Beschwerde. Er
hat sogar einen Artikel im Telpener Tagesblatt dazu geschrieben.Hätten wir das eher gewusst, hätten wir das Ganze schneller geklärt.«
»Ulrike Kaltenborn wollte bei der Sache aber nicht mitmachen und ist zur Polizei gegangen.«
»Genau. Von Olaf Kaltenborn haben wir bereits ein Geständnis.«
»Also besteht keinerlei Verbindung zum Fall Flora Duve.« Sälzer fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger über das stoppelige Kinn.
»Sieht nicht so aus. Ein Trittbrettfahrer, würde ich sagen.«
Sälzer nahm die Vernehmungsprotokolle vom Schreibtisch, blätterte darin herum. »Hast du die schon gelesen?«
Masaryk nickte. »Hat nicht gerade die große Erleuchtung gebracht. Es ergibt sich ein recht einheitliches Bild: Flora war vor
dem Überfall nicht verändert. Sie hatte mit niemandem richtig Streit, keine echten Feinde, vielleicht ein paar Neider, keinen
großen Freundeskreis, dafür eine beste Freundin. Ein gutes Verhältnis zur Mutter, ein etwas zwiespältiges zum Großvater.«
»Trotzdem habe ich das Gefühl, wir sind weitergekommen.« Sälzer schnippte mit dem Mittelfinger gegen das Papier. »Irgendetwas
ist da direkt vor unserer Nase. Wir sind so dicht dran, dass wir es nicht sehen.«
»Mit dem aktuellen Partner der Mutter versteht sie sich nicht so gut. Aber keiner hat etwas von offenen Auseinandersetzungen
gesagt. Außerdemhat Götz Gerlinger ein Alibi. Und Karoline Duve wird ihn ja wohl kaum decken. Das Alibi von Hagen überprüft Kessel gerade.«
Sälzer ließ die Vernehmungsprotokolle auf den Tisch fallen und lehnte sich an den Schreibtisch. Wenn Flora den Täter wirklich
kannte und er stammte aus ihrem Umfeld, kamen nicht viele Menschen infrage. Und die, die es taten, hielt Sälzer als Täter
für sehr unwahrscheinlich. Entweder sie hatten ein Alibi, kein Motiv oder waren rein physisch nicht zur Tat in der Lage.
Vielleicht hatte Sälzer sein Instinkt getrügt. Mal wieder. Vielleicht hatte er sich zu sehr von den Erinnerungen an seinen
ersten Fall in Telpen leiten lassen. Vielleicht war es bei Flora Duve anders. Der Täter kam nicht aus ihrem Umfeld, war ein
Fremder, hatte nichts mit ihr zu tun. Es war Zufall, dass gerade Flora sein Opfer wurde. Dann standen sie mit den Ermittlungen
in einem
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