Träum ich?: Roman (German Edition)
Gogos Praxis erreiche, erscheint mir das Ganze vollkommen logisch. Krise erkannt, Fluch gebannt.
Aber Gogos Praxis kommt mir irgendwie komisch vor. Sonst hängen hier immer Bilder von den Peanuts an den Wän den, aber die fehlen nun. Vielleicht sind sie zum Abstauben abgehängt worden. Außerdem brüllen sich im Wartezimmer vier Kinder die Lunge aus dem Hals. Das ist für Gogos Praxis ziemlich ungewöhnlich. In anderen Kinderarztpraxen hört man zwar ständig Geschrei, aber nicht in Gogos. Die Kinder wissen, dass sie Dr. Gogo sehen werden, vor dem sie keine Angst haben müssen. Sie wissen, dass er immer freundlich ist, und sitzen deshalb ganz friedlich im Wartezimmer. Das ist einer der Gründe, warum ich ihn so liebe. Aber an diesem Tag muss wohl eine schlimme Mittelohrepidemie ausgebrochen sein. Ich habe noch nie zuvor so lautes Gebrüll gehört.
»Hi, Bernice«, sage ich und seufze erleichtert, als ich Gogos Sekretärin am Empfang erblicke.
»Was?«, ruft sie durch das Geschrei der Kinder hindurch.
»Ein anstrengender Tag, wie?«, rufe ich zurück.
»Ein Tag wie jeder andere«, gibt sie zurück, ohne die Miene zu verziehen. »Und, wie lautet der Name Ihres Kindes?«, fragt sie und blickt suchend in den Terminkalender. »Der Doktor ist im Verzug, wie üblich.«
»Gogo? Im Verzug?«, rufe ich über das Geschrei hinweg.
»Wie bitte?«, brüllt sie. »Ich hab den Namen Ihres Sohns nicht verstanden. Sagten Sie, er heiße Gogo?«
»Nein«, sage ich lachend. »Gogo. Der Doktor. Dr. Goldblatt«, erkläre ich.
»Wer? Tut mir leid, aber hier gibt es keinen Dr. Goldblatt«, sagt sie. »Sie haben sich in der Praxis geirrt.«
Ich drehe mich um und werfe einen Blick auf die Sprechzimmertür, um mich zu vergewissern, dass ich in der richtigen Praxis bin. Statt des Schilds mit den Luftballons und Gogos Namen klebt dort ein schlichtes Messingschild mit der Aufschrift Dr. Winston Hamilton .
»Ist dies hier der dritte Stock?«, frage ich.
»Ja«, bestätigt sie.
»Verzeihen Sie«, mischt sich eine Frau mit einem brüllenden Kind ein, »aber ich warte schon über eine Stunde. Könnten Sie mir sagen, wie lange es noch dauert?«
»Der Doktor hat heute viel zu tun«, antwortet Bernice ungerührt.
Ich werfe einen Blick auf die Frau, deren armes Kind aussieht, als habe es große Schmerzen.
»Meinen Sie nicht, Sie sollten dem Doktor Bescheid sagen, was hier draußen los ist?«, frage ich.
»Sie sind wohl das erste Mal beim Kinderarzt«, erwidert Bernice und lacht.
»Keineswegs«, widerspreche ich. »Und Dr. Goldblatt würde ein Kind niemals so schreien lassen.«
»Tja, dann gehen Sie doch lieber zu diesem Wunderdoktor«, erwidert sie schlagfertig.
»Wollen Sie damit sagen, Sie kennen einen besseren Kinderarzt?«, fragt die Mutter mich.
»Allerdings, er ist wirklich wunderbar«, erwidere ich.
»Könnten Sie mir die Telefonnummer geben?«, fragt sie. Da werden die anderen Mütter auf uns aufmerksam.
»Dürfte ich sie auch haben?«, fragt mich eine zweite und zückt ihr Handy.
»Nun, sie lautet …« Ich verlasse kurz die Praxis und blicke den Flur hinunter. Aber an der Praxistür steht klar und deut lich 311 . Hier war immer Gogos Praxis. Vielleicht ist er umgezogen. Etwas anderes kann ich mir im Moment nicht vorstellen.
»Könnte ich vielleicht einen Termin um zehn Uhr vormittags bekommen?«, fragt eine dritte Mutter.
»Ich … ich versuche, ihn ausfindig zu machen, und sage Ihnen dann Bescheid«, erkläre ich.
Ich gehe zurück zu meinem Wagen und hole meinen Blackberry hervor. Ich habe zweiundneunzig E-Mails von meiner Arbeit, doch ich werde auf keinen Fall arbeiten gehen. Seit zehn Jahren bin ich nun schon bei Sacki und Sacki und habe nicht einen einzigen Tag gefehlt.
»Hallo Rebecca?«, melde ich mich daher mit schleppender Stimme bei meiner Sekretärin.
»Sie klingen ja furchtbar«, sagt sie. »Trotzdem müssen Sie sofort herkommen, denn heute Nachmittag kommen die Leute von Best Buy. Haben Sie die Präsentation fertig?«
»Ach verdammt!«, rufe ich. »Die Best-Buy-Kampagne hab ich total vergessen!«
»Dann müssen Sie wirklich krank sein«, erwidert sie. »Schließlich arbeiten Sie seit zwei Monaten daran. Ich musste jeden Tag bis nach Mitternacht hierbleiben und jetzt haben Sie sie vergessen? Haben Sie einen Nervenzusammenbruch oder so was?«
»Nein«, huste ich. »Mich hat ein Virus erwischt. Ich liege im Bett und kann noch nicht mal den Kopf heben«, behaupte ich und wische dabei den Staub vom
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