Traeum weiter Baby
sagte der Hübsche wieder, »wir benutzen sowieso nur zehn Prozent unserer Gehirnmasse, den Rest kann ich doch zerstören, wie ich will!«
Das Publikum klatschte wieder, und ich überlegte, woher der Hübsche so sicher war, daß ein Blackout nicht ausgerechnet die zehn aktiven Prozent seines Gehirns zerstörte. Dann fing der Experte mit den fettigen Haaren wieder an zu schwafeln.
»Du bestimmst dein Leben nicht«, behauptete er, »sondern du läßt dich von den Drogen bestimmen.«
Ich war gespannt, wie der Hübsche auf diese esoterische Weisheit reagieren würde.
»Das ist doch Schwachsinn«, sagte er, »ich nehme nur was, wenn ich es will, also bestimme ich!«
Das Publikum reagierte nicht, deshalb war jetzt Schmalzlocke wieder dran.
»Dann sag mir, daß du noch nie unter Drogeneinfluß etwas getan hast, was du nüchtern bereut hast.«
|47| Der Hübsche überlegte.
»Bist du immer derselbe Mensch, mit oder ohne Drogen?« bohrte Schmalzlocke weiter.
»Natürlich nicht«, grinste der Hübsche, »sonst würde ich sie ja nicht nehmen.«
Das Publikum klatschte.
Dann meldete sich eine Frau zu Wort, die Pillen schluckte, weil sie dann nicht so sehr das Gefühl hatte, alleine zu sein. Das konnte der Hübsche gut verstehen, und sie schienen einander näherzukommen. Auch ’ne Lösung, dachte ich, das spart den Apotheker, aber irgendwie entstand dann plötzlich ein Streit, und die beiden keiften sich an.
»Du gibst es bloß nicht zu, daß du abhängig bist«, schrie die Frau, und der Hübsche antwortete in der gleichen Lautstärke, daß er nicht süchtig sei. Daraufhin schaltete Schmalzlocke sich ein.
»Warum schreien Sie eigentlich, wenn Sie so sicher sind«, wollte er wissen.
»Weil Sie mich nerven«, schrie der Hübsche.
Olli lächelte nicht mehr, und das, obwohl solche Szenen zu seinem Job gehörten und er dafür gut bezahlt wurde, im Gegensatz zu mir, die sich unentgeltlich damit herumschlagen mußte. Ich hatte für heute genug Streß und zappte mich zu dem Polizisten zurück. Ich weiß nicht, wie er darauf gekommen war, aber er verdächtigte jetzt den Ehemann der Toten und unterstellte ihm, von dem Nebenjob seiner Frau gewußt und sie aus Eifersucht umgebracht zu haben. Das kommt dabei heraus, wenn Polizisten im Dienst trinken.
Ich schaltete den Fernseher aus und machte die Augen zu. So kann es nicht weitergehen, dachte ich, Sascha muß aufhören zu koksen.
|48| when the lion sleeps at night
Als das Telefon klingelte, fühlte ich mich wie gerädert.
Ich schälte mich von der Couch und tapste halbblind zum Telefon. Es war meine Mutter. Sie klang erschreckend wach und wollte wissen, wann sie zum Babysitten kommen sollte. Sascha und ich hatten eigentlich geplant, heute ins Kino zu gehen. Aber nach der Szene gestern nacht wußte ich nicht, ob er sich noch an die Verabredung erinnerte. Es war gut möglich, daß er gestern genau die Gehirnzellen verloren hatte, auf denen die Information gespeichert war.
»Kann ich dich zurückrufen«, erkundigte ich mich im Halbschlaf. »Ich muß erst mit Sascha reden.«
»Sag mal, hast du noch geschlafen?«
»Nein…«
Ich ging mit dem Hörer in die Küche und guckte auf die Uhr. Es war neun. Moritz war bestimmt schon wach.
»Geht’s dir gut?« fragte meine Mutter vorwurfsvoll.
Meine Mutter faßte es als eine Art persönlicher Beleidigung auf, wenn es einem ihrer Kinder nicht gutging. Schließlich hatte sie nicht die besten Jahre ihres Lebens geopfert, damit aus uns unglückliche Menschen wurden.
»Klar!«
»Du hörst dich verschnupft an«, sagte sie.
»Mir geht’s gut!«
»Und Möhrchen?« So nennt sie Moritz, wenn sie ihn nicht »das Kind« nennt. »Paß auf, daß du das Kind nicht ansteckst!«
|49| »Mama, ich bin nicht erkältet!«
Meine Mutter war der Meinung, daß ich mich zu salopp kleidete, und versuchte, ihr Mißfallen an meinem Modegeschmack hinter der Behauptung zu verbergen, daß ich mich zu dünn anziehen würde. Als seien spießige Klamotten wärmer als moderne.
Ich hatte keine Lust, diese Diskussion zum millionsten Mal zu führen, und versprach ihr, mich in Zukunft wärmer anzuziehen.
»Wenn du nächste Woche Zeit hast, könnten wir zusammen in die Stadt gehen«, schlug meine Mutter vor, »es gibt noch immer herabgesetzte Wintersachen!«
Meine Mutter war eine passionierte Schnäppchenjägerin. Obwohl sie sich jeden Tag neue Klamotten hätte leisten können, war sie immer auf der Suche nach dem billigsten Angebot. Das weckte ihren Jagdinstinkt
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