Träum weiter, Liebling
aufgebracht. »Sie ist eine Heuchlerin und Betrügerin.«
»Das ist nicht wahr«, schalt sie Fran sanft. »Du weißt, wie dringend wir Gebete brauchen. Nur ein Wunder kann Emily retten.«
»Von ihr wirst du kein Wunder kriegen!« Carols dunkle Augen bohrten sich in Rachels, und ihre Miene zeigte helle Empörung. »Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wieviel diese Familie schon gelitten hat? Wie konnten Sie ihnen bloß solche Hoffnungen machen!«
Rachel wollte das abstreiten, doch Carol war noch nicht fertig. »Wieviel verlangen Sie für Ihre Gebete? Ich wette, es ist ein hübsches Sümmchen.«
»Ich habe keine Gebete mehr«, entgegnete Rachel ehrlich. Sie holte tief Luft und blickte Emilys Großmutter direkt in die Augen. »Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht helfen. Ich bin nicht länger gläubig.«
»Als ob Sie‘s je gewesen wären«, höhnte Carol.
Aber Fran lächelte nur und betrachtete Rachel mit tiefem Mitgefühl. »Wenn Sie in Ihr Herz schauen, Mrs. Snopes, dann wissen Sie, dass das nicht stimmt. Bitte wenden Sie sich nicht von uns ab. Meine eigenen Gebete sagen mir, dass Sie Emily helfen können.«
»Aber ich kann nicht!«
»Das wissen Sie nicht, solange Sie‘s nicht versucht haben. Könnten Sie sie nicht wenigstens besuchen?«
»Nein. Ich will Ihnen keine falschen Hoffnungen machen.«
»Zieh dein Scheckbuch heraus, Fran«, sagte Carol. »Dann ändert sie ihre Meinung.«
Für eine Frau, deren Herz eigentlich mit der Liebe Gottes erfüllt sein sollte, hatte sie eine Menge Hass und Bitterkeit in sich. In Rachels Jahren beim Tempel hatte sie viele Carols erlebt, tiefreligiöse Männer und Frauen, die so unbeugsam und voller Vorurteile waren, dass sie jede Lebensfreude verloren zu haben schienen.
Rachel war eine gute Bibelschülerin und verstand, was mit Leuten wie Carol geschehen war. Nach deren Verständnis war jeder Mensch von Natur aus schlecht, und nur indem man ständig auf der Hut war vor dem Bösen, bestand eine Hoffnung auf Erlösung. Für Menschen wie Carol war der Glaube zu einer ständigen Quelle der Angst geworden.
Leute wie Fran hatte sie ebenfalls im Tempel gesehen - Menschen, die von innen heraus zu strahlen schienen. Den Frans dieser Welt kam nie in den Sinn, in ihren Mitmenschen nach Schlechtem zu suchen. Sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, zu lieben, Mitgefühl für andere zu empfinden, zu vergeben.
Ironischerweise hatten Dwayne Christen wie Fran frustriert. Er glaubte, es fehle ihnen an Wachsamkeit im Kampf gegen den Teufel, und er fürchtete um ihre Seelen.
»Es tut mir leid«, sagte sie mit vor Emotion heiserer Stimme. »Es tut mir aufrichtig leid.«
Gabe trat vor. »Ladies, Sie müssen uns jetzt entschuldigen, aber wir müssen nach Rachels Brieftasche suchen. Sie hat sie vorhin verloren.« Er nickte ihnen zu und zog sie weg.
Rachel war ihm dankbar. Sie wusste, dass er nicht verstand, was vorging, aber wieder einmal hatte er ihre Not gefühlt und eingegriffen.
»Ich wusste gar nicht, dass du Fran Thayer kennst«, sagte er, als sie am Ferkelrost vorbeikamen.
»Ist das ihr Nachname? Sie hat ihn mir nicht genannt.«
»Was geht da vor?«
Sie erklärte es ihm.
»Es würde dir doch nicht weh tun, ihre Enkelin zu besuchen«, sagte er, als sie fertig war.
»Es wäre unverzeihlich. Ich bin doch keine Betrügerin.«
Einen Moment lang glaubte sie, er wolle sich deswegen mit ihr streiten, doch er tat es nicht. Statt dessen wies er auf eines der Zelte. »Mir scheint, es war dort drüben. Ich werd ein wenig rumfragen.«
Ein paar Minuten später kam er wieder zurück, und sie wusste, bevor er etwas sagte, dass er schlechte Neuigkeiten brachte. »Vielleicht gibt sie ja später jemand bei der Polizei ab«, sagte er, um sie zu trösten.
Sie rang sich ein Lächeln ab, und beide wussten, dass es nur gespielt war. »Ja, vielleicht.«
Er streichelte sanft ihre Wange. »Lass uns nach Hause fahren. Ich glaub, für heute haben wir alle genug.«
Sie nickte, und zu dritt machten sie sich davon.
Als sie sich entfernten, trat Russ Scudder hinter dem Limonadenzelt hervor. Er wartete, bis sie verschwunden waren, dann holte er Rachels Brieftasche aus dem leeren Popcornbecher, den er mit sich rumgetragen hatte, und nahm das Geld heraus.
Dreiundvierzig Dollar. Zu schade, dass es nicht mehr war. Er starrte die zerknitterten Banknoten an, warf dann die Brieftasche in den nächsten Abfalleimer und schlenderte anschließend zum Tisch des Tierschutzvereins.
Carl Painter hatte die Leute
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