Träum weiter, Liebling
magerer Brustkorb zu sehen war und das Netzwerk zarter blauer Äderchen unter seiner blassen Haut. Pferdchen lag im Staub zu seinen Füßen.
Bonners Haut spannte sich bleich über seine scharf hervortretenden Wangenknochen. »Hab ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollen ihn von hier fernhalten!«
Sie stürzte vor, ihre Erschöpfung für den Moment vergessen. »Setzen Sie ihn ab! Sie machen ihm angst!«
»Ich hab Sie gewarnt. Ich habe Ihnen gesagt, Sie dürfen ihn nicht hierher bringen. Es ist zu gefährlich für ihn.« Er stellte ihn auf den Boden.
Edward war wieder frei, doch er stand wie erstarrt an dem Fleck, auf dem er abgesetzt worden war. Wieder einmal war er ein Opfer der Allmacht von Erwachsenen geworden, einer Macht, die er weder verstehen noch kontrollieren konnte. Seine Hilflosigkeit zerriss ihr das Herz. Sie hob Pferdchen auf und hob ihren kleinen Jungen dann hoch und hielt ihn ganz fest umklammert. Seine Schuhe stießen an ihre Schienbeine, als sie die Wange an seinen sonnenwarmen, braunen Haarschopf drückte.
»Was stellen Sie sich vor, das ich mit ihm hätte tun sollen?«
»Das war nicht mein Problem.«
»So was kann nur jemand sagen, der noch nie die Verantwortung für ein Kind gehabt hat!«
Er erstarrte. Sekunden tickten vorüber, bevor sich seine Lippen bewegten. »Sie sind gefeuert. Machen Sie, dass Sie verschwinden.«
Edward fing an zu heulen und schlang die Arme um ihren Nacken.»Tut mir soo leid, Mommy. I-ich hab versucht, mich zu verstecken, aber er hat mich doch erwischt.«
Ihr Herz hämmerte wie wild, und ihre Beine fühlten sich an wie Spaghetti. Sie hätte Bonner am liebsten angebrüllt, weil er Edward so verängstigte, aber das hätte den Jungen nur noch mehr aufgeregt. Und wozu auch? Ein Blick auf die vollkommen ausdruckslose Maske von Bonners Gesicht ließ keinen Zweifel daran, dass seine Entscheidung unwiderruflich war.
Er zog eine Brieftasche aus seiner Gesäßtasche, zählte einige Geldscheine ab und streckte sie ihr hin. »Nehmen Sie das.«
Sie starrte auf das Geld. Sie hatte alles für ihr Kind geopfert. Musste sie denn auch noch das letzte bisschen Stolz aufgeben?
Langsam nahm sie das Geld, und ein kleiner Teil von ihr erstarb.
Edwards kleine Brust wurde von Schluchzern geschüttelt.
»Sch...« Sie glitt mit den Lippen zärtlich über sein Haar. »Es ist nicht deine Schuld.«
»Er hat mich geseh‘n«
»Aber er hat ‘nen ganzen Tag dazu gebraucht. Er ist so blöd, dass er einen ganzen Tag lang gebraucht hat, bis er dich entdeckt hat. Das hast du toll gemacht.«
Ohne einen Blick zurückzuwerfen, ging sie zum Spielplatz und sammelte ihre Sachen zusammen. Blinzelnd gegen die aufsteigenden Tränen ankämpfend, nahm sie ihre mageren Habseligkeiten mit der einen Hand und ihren Sohn mit der anderen. Was für ein Mensch tat so etwas? Nur jemand, der überhaupt keine Gefühle besaß.
Als sie das Pride of Carolina hinter sich ließ, wäre sie am liebsten vom Rand der Welt gestürzt.
Gabriel Bonner, der Mann ohne Gefühle, weinte in dieser Nacht im Schlaf. Er schreckte so gegen drei Uhr morgens hoch und entdeckte den nassen Fleck auf seinem Kissen. In seinem Mund spürte er den abscheulich metallischen Geschmack tiefer Verzweiflung.
Er hatte heute nacht wieder von ihnen geträumt, von Cherry und Jamie, seiner Frau und seinem Sohn. Aber diesmal hatte sich Cherrys geliebtes Antlitz immer wieder in das dünne, trotzige Gesicht von Rachel Stone verwandelt. Und sein Sohn hielt einen schäbigen grauen Hasen im Arm, als er im Sarg lag.
Er schwang die Beine über den Bettrand und saß einfach nur mit hängenden Schultern da, das Gesicht in den Händen vergraben. Schließlich zog er die Nachtkästchenschublade auf und holte einen 38er Smith & Wesson heraus.
Der Revolver fühlte sich warm und schwer in seiner Hand an. Es ist gar nicht schwer. Einfach den Lauf in den Mund stecken und am Abzug ziehen. Er legte den Lauf an die Lippen und schloss die Augen. Der kalte Stahl fühlte sich wie der Kuss einer Geliebten an, und auch das leise Klicken des Laufs, als er an seine Zähne stieß, mochte er.
Aber er konnte nicht am Abzug ziehen, und in diesem Moment hasste er seine Familie dafür, dass sie ihm das süße Vergessen verwehrten, nach dem er sich mit aller Macht sehnte. Jeder von ihnen - sein Vater, seine Mutter, seine beiden Brüder -, sie alle würden einen Hund von seinem Leiden erlösen, aber sie würden es nicht ertragen, wenn er sich das Leben nähme. Und so hielt ihn ihre sture,
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