Träum weiter, Liebling
wütend sein über das Vorgefallene, aber alles, was sie im Moment fühlen - konnte, war tiefe Erschöpfung.
Sie kamen um die letzte Wegbiegung und stoppten vor einem Häuschen mit Zinndach; ein unkrautüberwuchertes Gemüsegärtchen befand sich auf der einen Seite des großen Gartens, und eine Baumreihe schloss die andere ab. Das Häuschen war offenbar alt, besaß aber einen frischen, weißen Farbanstrich, leuchtend grüne Fensterläden und einen Steinkamin. Zwei Holzstufen führten zu einer Veranda hinauf, an deren Ende ein abgerissener Windsack flatterte.
Ohne Vorwarnung schössen Rachel die Tränen in die Augen. Dieses wackelige, alte Häuschen kam ihr wie der Inbegriff ihrer Vorstellung von einem Heim vor. Es repräsentierte Stabilität, Wurzeln, alles, was sie sich für ihr Kind wünschte.
Ethan lud ihre Sachen auf der Veranda ab, schloss die Haustür mit seinem Schlüssel auf und trat beiseite, um sie einzulassen. Sie holte tief Luft. Die tiefstehende Nachmittagssonne strömte durch die Fenster herein und färbte den alten Holzboden wunderbar goldgelb, und auch der gemütliche Holzkamin bekam einen goldenen Schimmer. Die Einrichtung war schlicht: braune Korbsessel mit Chintzkissen, ein Kiefernholztischchen, auf dem eine Lampe mit Schwämmchendruck stand, eine uralte Kieferntruhe diente als Wohnzimmertischchen, und jemand hatte eine einfache, mit Wiesenblumen gefüllte Zinnkanne daraufgestellt. Es war wunderschön.
»Annie hat allen möglichen Kram gesammelt, aber meine Eltern und ich haben das meiste davon weggeworfen, als sie gestorben war. Die Möbel haben wir behalten, damit Gabe hier einziehen kann, wenn er will, aber das Häuschen birgt zu viele Erinnerungen für ihn.«
Rachel, deren Blick auf dem Schlüsselbund haftete, erkannte die Schlüssel als das, was sie war: ein Eingeständnisvon Gabriel Bonners Schuldgefühlen. Wieder musste sie andie hässliche Szene denken, die sich zwischen ihnen abgespielt hatte. Es war ihr fast so vorgekommen, als hätte Gabe mehr sich selbst attackiert als sie. Schaudernd fragte sie sich, wohin ihn sein Selbstzerstörungsdrang wohl noch führen mochte.
Mit Edward hinter sich, folgte sie Ethan durch die Küche, in der ein zerkratzter alter Eßtisch aus Kiefernholz mit Eichenstühlen mit Peddigrohrsitzen stand. Einfache Musselinvorhänge hingen an den Fenstern, und ein Küchenschrank mit gehämmerten Zinntürchen stand einem alten weißen Emailgasherd aus der Depressionszeit gegenüber. Sie sog den Geruch von altem Holz und Generationen von hausgemachten Mahlzeiten tief in sich ein und hätte am liebsten geheult.
Ethan führte sie zur Hintertür hinaus und um die Rückseite des Häuschens zu einer kleinen Garage. Der eine Flügel der Doppeltür hing ein wenig schief in den Angeln und schrammte beim Öffnen über den Boden. Sie folgte ihm ins Innere und sah einen zerbeulten, roten Ford Escort mit verstellbarer Heckklappe dort stehen.
»Der gehört meiner Schwägerin. Sie hat jetzt ein neues Auto, weigert sich aber, den hier abzustoßen. Gabe meinte, sie könnten ihn für ein paar Tage haben.«
Rachel musste an die ein wenig gelehrt dreinblickende Blondine auf dem People-Magazin- Foto denken. Sie hätte nie gedacht, dass eine Frau wie Dr. Jane Darlington-Bonner einen solchen Wagen fahren würde, doch hütete sie sich natürlich, etwas zu sagen und ihr Glück herauszufordern. Mit einem Gefühl der Fassungslosigkeit stellte sie fest, dass sie alles bekommen hatte, was sie brauchte: einen Job, eine Unterkunft, ein Fahrzeug. Und all das verdankte sie Gabe Bonner und seinen Schuldgefühlen.
Die Tatsache, dass er ihr alles wieder wegnehmen konnte, sobald seine Schuldgefühle nachließen, entging ihrer Aufmerksamkeit jedoch ebensowenig, und sie wusste, dass sie schnell würde handeln müssen. Irgendwie musste sie es schaffen, die Kennedy-Schatulle so schnell wie möglich in die Finger zu bekommen.
»Ist Ihnen nicht in den Sinn gekommen, dass ich mit dem Auto Ihrer Schwägerin auf Nimmerwiedersehen abhauen könnte?«
Er beäugte den zerbeulten Escort mit einem angeekelten Blick und reichte ihr die Wagenschlüssel. »Soviel Glück haben wir bestimmt nicht.«
Er ging, und sie blickte ihm nach, bis er verschwunden war. Dann hörte sie, wie er seinen Wagen anließ. Edward trat vor.
»Gibt er uns echt das Auto?«
»Nur geborgt.« Trotz seines Zustands dachte sie, dass dies der schönste Wagen war, den sie je gesehen hatte.
Edward blickte zum Haus. Er rieb sich mit dem Schuh
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