Träum weiter, Liebling
aufnehmen.«
»Ich tue nur, was ich für richtig halte.« Ihre Worte klangen scheinheilig und auch ein wenig steif. Dennoch, da war etwas an ihr, das einen davon überzeugte, dass sie es aufrichtig meinte.
»Ich hab mir das leere Schlafzimmer genommen und meinen Sohn im Nähzimmer untergebracht. Ich hoffe, das ist in Ordnung. Wir versuchen, Ihnen so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen.«
»Das ist nicht nötig.« Sie blickte sich im Zimmer um und sah dann zur Küche. »Wo ist Ihr Junge?«
Rachel zwang sich, zum Schlafzimmer zu schauen. »Edward, würdest du bitte herkommen? Er ist ein bisschen schüchtern.« Sie sagte das, weil sie nicht wollte, dass sich Kristy zuviel erwartete.
Edward tauchte im Türrahmen auf. Er hatte Pferdchen mit dem Kopf voraus in den Bund seiner braunen Shorts gesteckt und starrte auf seine Schuhspitzen, als ob er etwas angestellt hätte.
»Kristy, das ist mein Sohn Edward. Edward, ich möchte dir Miss Brown vorstellen.«
»Hi.« Er blickte nicht auf.
Zu Rachels Verärgerung sagte Kristy kein Wort, um es ihm ein wenig zu erleichtern, sondern starrte ihn einfach nur an. Das würde schlimmer werden, als sie es sich vorgestellt hatte. Das letzte, was Edward brauchen konnte, war ein weiterer feindseliger Erwachsener.
Edward, der anschienend doch neugierig wurde, weil er keine Antwort bekam, hob schließlich den Blick.
Kristys Mund verzog sich zu einem strahlenden Lächeln. »Hallo, Edward. Pastor Ethan hat mir gesagt, dass du hier sein würdest. Ich freue mich, dich kennenzulernen.«
Edward lächelte zurück.
Kristy nahm die braune Papiertüte von der Holztruhe und ging zu ihm. »Als ich hörte, dass du hier wohnen wirst, hab ich was für dich besorgt. Ich hoffe, es gefällt dir.« Rachel sah zu, wie Kristy vor ihm auf ein Knie ging, so dass sie und Edward auf gleicher Augenhöhe waren.
»Du hast mir ein Geschenk mitgebracht?« Edward hätte nicht überraschter klingen können.
»Es ist nichts Besonderes. Ich war mir nicht sicher, was dir gefällt.« Sie reichte ihm die Tüte. Er öffnete sie und riss die Augen auf. »Ein Buch! Ein neues Buch!« Seine Miene bewölkte sich. »Ist es wirklich für mich?«
Rachel wollte das Herz brechen. Edward hatte in seinem Leben schon soviel Schlechtes erlebt, dass er es kaum glauben konnte, wenn ihm einmal etwas Gutes widerfuhr.
»Aber sicher ist‘s für dich. Es heilst Stellaluna , und es handelt von einer kleinen Fledermaus. Möchtest du, dass ich‘s dir vorlese?«
Edward nickte, die beiden machten es sich auf der Couch gemütlich, und Kristy begann mit dem Vorlesen. Rachel, die zusah, bekam einen Kloß im Hals. Er unterbrach Kristy mit Fragen, die sie ihm geduldig beantwortete, und während sie das Buch lasen, verschwand auch ihre graue Fassade. Sie lachte über sein Geplapper, ihre Augen funkelten, und sie sah richtig hübsch aus.
Das ging auch während des Abendessens so weiter, das sie, auf Kristys Drängen, gemeinsam einnahmen. Rachel aß nur wenig, da sie Edward nicht einen einzigen Bissen von der köstlichen Hühnchenkasserolle, die er begeistert in sich hineinschlang, wegnehmen wollte. Glücklich sah sie zu, wie das Essen in seinem Mündchen verschwand.
Nach dem Essen bestand Rachel darauf, das Geschirr abzuwaschen, aber Kristy wollte nicht, dass sie alles allein machte. Während Edward sich mit seinem kostbaren, neuen Buch auf die Vorderveranda setzte, arbeiteten die beiden Frauen in verlegener Stille nebeneinander.
Kristy brach schließlich das Schweigen. »Haben Sie schon mal daran gedacht, Edward in eine Kindertagesstätte zu geben? Die Kirche verfügt über eine ausgezeichnete Einrichtung; es ist sogar eine Vorschule mit dabei.«
Rachels Wangen brannten. Edward brauchte den Kontakt zu anderen Kindern, und es würde ihm guttun, ein wenig von ihr getrennt zu sein. »Ich fürchte, das kann ich mir im Moment nicht leisten.«
Kristy zögerte. »Es würde Sie überhaupt nichts kosten. Es gibt voll bezuschußte Plätze, und ich bin sicher, dass ihn seine derzeitigen Lebensumstände dafür qualifizieren.«
»Für einen kostenlosen Platz?«
Kristy wich ihrem Blick aus. »Lassen Sie mich ihn morgen früh mitnehmen. Ich werde mich um alles kümmern.«
Es gab keine kostenlosen Plätze. Das war ein Almosen, und Rachel hätte nichts lieber getan, als abzulehnen. Aber sie konnte sich Stolz nicht leisten, wenn es um ihren Sohn ging. »Vielen Dank«, sagte sie leise. »Das wäre wirklich nett.«
Der mitleidige Blick, mit dem Kristy
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