Traeume aus der Ferne
würdet.«
»Ich hab’ das nicht gehört«, antwortete ich grinsend und verzog mich ins Bad.
Punkt fünf Uhr schlug ich die Augen auf. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich wusste, wo ich mich befand. Nur langsam wollte mein Gehirn mit der Arbeit beginnen. Ich lag in einem viel zu weichen Bett in einem Motelzimmer etwas außerhalb von Chicago. Im Bett neben mir schlief Olivia noch tief und fest, so wie sie es fast auf dem kompletten Flug getan hatte. Ein klein wenig bereute ich, dass ich kein eigenes Zimmer hatte, doch wir hatten uns vorher darauf geeinigt, dass es um einiges günstiger sein würde, wenn wir jeweils ein Zimmer teilten. Und in Amerika war nahezu jedes Zimmer mit zwei großen Betten ausgestattet. Außerdem wollten wir schließlich auch Gesellschaft an den Abenden haben, sonst hätten wir ja gleich allein fliegen können. So musste ich also darauf verzichten, den Fernseher anzuschalten. Das Programm um diese Uhrzeit hätte mich bestimmt wieder eingeschläfert, aber die Gefahr, Olivia dabei zu wecken, war mir zu groß. Leise schlich ich mich ins Bad, duschte ausgiebig, zog mir etwas Bequemes an und machte mich auf den Weg aus dem Motel.
Die Luft kam mir angenehm klar und frisch vor. Ich war noch nie ein Mensch, der sich früh aus dem Bett quälte, doch hier und heute war ich froh darüber, dass der Jetlag mich nicht mehr schlafen ließ. Der Stress der letzten Wochen, Monate und Jahre fiel wie eine Ritterrüstung von mir ab, und ich fühlte mich frei und unbeschwert und auf eine kindliche Art glücklich.
Ein paar Motelgäste drehten mit ihren Hunden ihre allmorgendliche Runde. Sie lächelten mir freundlich zu, manche blieben stehen, um ein paar Minuten zu plaudern und ihre Hunde bewundern zu lassen. Meine Aufmerksamkeit wurde aber sehr schnell von einer sportlich aussehenden Frau in Anspruch genommen, die am gegenüberliegenden Ende des Parkplatzes mit einer Tasse Kaffee in der Hand auf einem Stein saß und das erstaunlich lebhafte Treiben um diese frühe Uhrzeit beobachtete.
Ein älteres Ehepaar aus Florida, denen ich erzählt hatte, dass ich aus Deutschland kam, fragte mich gerade über das Oktoberfest aus, als die Unbekannte auf uns zukam. »What a beautiful morning«, begrüßte sie meine braungebrannten Gesprächspartner. Dann drehte sie sich zu mir und fügte auf deutsch hinzu: »So könnte jeder Tag beginnen.« Ich runzelte die Stirn. Woher wusste sie, dass ich aus Deutschland komme? Doch bevor ich etwas erwidern konnte, war sie bereits durch die Tür verschwunden. Ich stand immer noch mit offenem Mund am Rande des Rasens und blickte auf die Eingangstür, als sie ihren blonden Wuschelkopf noch einmal nach draußen steckte. »Ich habe gelauscht«, erklärte sie mir mit einem entschuldigenden Schulterzucken.
»Wo warst du denn?« begrüßte mich eine bereits fertig angezogene Olivia, als ich ins Zimmer zurückkam.
»Spazieren«, antwortete ich.
»Wollen wir frühstücken gehen?« fragte meine Zimmergenossin verschlafen.
Ich schaute sie überrascht an. »Ohne Schminke?«
»Natürlich ohne Schminke. Ich schminke mich im Urlaub so gut wie nie. Es sei denn, ich gehe abends einmal auf Frauenfang, aber das habe ich nicht vor.« Mit diesen Worten lächelte sie mich an und zog mich vom Bett hoch, auf das ich mich inzwischen gesetzt hatte.
Auf dem Weg zum Frühstücksraum kamen wir an der Rezeption vorbei, wo die unbekannte Deutsche mit einem Hotelmitarbeiter über einem Stadtplan brütete. Ihr blondes Haar wirkte etwas gebändigt im Vergleich zu vorher, und sie hatte sich umgezogen. Der Jogginganzug war einer Jeans und einem T-Shirt gewichen, die Turnschuhe blieben aber die gleichen. Ihr Gesicht hatte einen entspannten Ausdruck, auch wenn sie bei dem Versuch, sich auf dem Stadtplan zurechtzufinden, hin und wieder die Stirn runzelte. Meine Augen ruhten auf ihrem Körper, ja, ich starrte sie regelrecht an, während ich nach einem passenden Kommentar im Vorbeigehen suchte.
»Komm schon«, drängte Olivia und zog mich dabei mit sich. »Ich habe Hunger.« Als ich den Frühstücksraum betrat, drehte ich mich noch einmal zur Rezeption um und blickte direkt in zwei hellblaue Augen.
Die nächsten beiden Tage lief ich wie mechanisch durch die Stadt. Olivia hatte alles bestens organisiert, so dass ich mich nur fügen musste. In meinem Zustand war mir das gerade recht, denn ich konnte an nichts anderes als diese hellblauen Augen denken.
Voller Hoffnung wollte ich am Tag nach unserem Zusammentreffen wieder
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