Traeume aus der Ferne
vollkommen in Ordnung, so wie es ist. Gut, es ist etwas langweilig, aber dafür bleiben mir diese Angstzustände und Schweißausbrüche auch erspart, die man bei solchen hirnrissigen Aktionen bekommt.«
Während der ängstliche Teil meines Gehirns schon auf Hochtouren lief, startete die mutige Hälfte zaghaft den PC. Es war Sonntag, noch nicht einmal zehn Uhr. Wann hätte Olivia meine Mail denn beantworten sollen? fragte ich mich selbst. Ich hatte sie gegen Mitternacht losgeschickt, da schlief sie wahrscheinlich schon. Und Sonntag morgen hatte der Großteil der Bevölkerung Besseres zu tun, als im Internet nach Mails zu sehen.
Meine ängstliche Seite meckerte und moserte in einem fort, doch plötzlich verstummte sie. In meinem Posteingang befand sich tatsächlich eine Mail von Olivia. Hektisch klickte ich auf »lesen« und überflog die Zeilen in Windeseile. Die Worte, die mir wichtig erschienen, prägten sich in meinem Gehirn ein. Sympathische Mail – Treffen – nächstes Wochenende – beschnuppern.
Mit klopfendem Herzen las ich die Mail erneut, diesmal jedoch in aller Ruhe. Was blieb, unterschied sich aber nicht wirklich vom ersten Überfliegen. Sie fand meine Mail sympathisch und wollte sich mit mir am nächsten Wochenende treffen, um herauszufinden, ob wir miteinander klarkommen könnten. Sie überließ mir die Wahl, wo und wann genau wir uns sehen könnten, merkte aber an, dass es sensationell sei, dass wir aus der gleichen Stadt kamen.
Ohne lange zu überlegen sandte ich ihr die Adresse eines kleinen Cafés in meiner Nähe, wo ich Samstag Nachmittag auf sie warten würde.
Die Woche zog sich zäh wie Kaugummi dahin. Ich hatte es aufgegeben, das Für und Wider dieses Treffens abzuwägen.
Also saß ich am Samstag zur vereinbarten Zeit in meinem Stammcafé, blätterte in einem Veranstaltungskalender und behielt dabei die Eingangstür im Auge. Als ich eine Frau mit hellblauem Minirock, pinkfarbenem Oberteil und bunten Schleifchen im langen Haar entdeckte, wusste ich sofort, dass dies Olivia war. Noch bevor ich mir überlegen konnte, welche Rückschlüsse man vom schrillen Auftreten einer Frau auf ihren Charakter ziehen konnte, kam sie auf mich zu.
»Hallo, du bist bestimmt Annette«, plauderte sie fröhlich drauflos. »Nettes Café«, stellte sie mit einem alles umfassenden Blick fest.
»Hi«, krächzte ich. Nicht, dass mir ihre Schönheit die Stimme raubte, nein, es war vielmehr so, als würde ihre Anwesenheit sämtliche Energie in diesem Raum in Anspruch nehmen. Sie warf ihre Jacke schwungvoll über den Stuhl. »Die ist perfekt für diese Jahreszeit, ein sensationelles Glück, dass ich sie damals in London in diesem kleinen Laden entdeckte«, klärte sie mich auf. Doch anstatt sich hinzusetzen, wirbelte sie auf den Kellner zu und gab ihre Bestellung auf.
Nach einer halben Stunde mit ihr hatte ich Kopfschmerzen. Und ich war mir nicht einmal so sicher, ob das mit dem Redeschwall oder dem grell geschminkten Gesicht zu tun hatte. Vielleicht sollte man ihr ein Schild umhängen: »Bitte nicht mit Koffein füttern – bin aufgedreht genug!«
Nach einer Stunde wusste ich die tiefsten und dunkelsten Geheimnisse ihrer Geschwister, ihrer Eltern und ihrer Exfreundin. Weitere dreißig Minuten später konnte ich all ihre bisherigen Operationen und Kinderkrankheiten in alphabetischer Reihenfolge wiedergeben, inklusive der dazugehörigen Behandlungsmethode.
Gerade als ich mich für den netten Nachmittag bedanken wollte, fing sie an, über ihren geplanten Urlaub zu reden.
»Ich habe zwar schon klare Vorstellungen, wohin die Reise gehen soll, aber ich würde mich da natürlich mit meiner Reisepartnerin absprechen. Es wäre sensationell, wenn wir an die großen Seen fahren würden. Niagarafälle, und was es da eben alles zu sehen gibt.«
Sie erzählte mir, dass sie im Juni, also in drei Monaten, fliegen möchte, beschrieb mir die Reiseroute, die sie sich überlegt hatte, erklärte mir, was sie unbedingt sehen musste, und malte mir den Urlaub in den schönsten Farben aus.
»Ich will ehrlich sein«, sagte sie und lehnte sich dabei über den Tisch zu mir. »Ich mag dich, du bist wirklich süß. Und das sage ich bestimmt nicht, weil du die einzige bist, die auf meine Anzeige geantwortet hat. Es wäre toll, wenn wir diese Reise zusammen machen würden.« Dann blickte sie mich erwartungsvoll an.
Etwas überfordert versuchte ich Zeit zu gewinnen. Sie saß immer noch zu mir gebeugt auf der vorderen Kante ihres
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