Traeume aus der Ferne
gehabt?«
»Ja, ich . . . äh, nein . . . es war . . . ich . . . ich glaube, der Jetlag macht mir noch zu schaffen.« Wie lange konnte mir die Zeitverschiebung noch als Ausrede dienen? Seit Tagen wartete ich auf eine Gelegenheit, mit dieser Frau ein paar ungestörte Worte zu wechseln, und nun, da es endlich soweit war, wusste ich natürlich nicht, was ich sagen sollte.
»Ach so«, antwortete sie. »Der kann einem schon zu schaffen machen.«
Ich schwieg und suchte nach einem passenden Gesprächsthema. Da mir nichts einfiel, ergriff sie wieder das Wort: »Dann wünsche ich euch noch einen schönen Tag.«
»Halt!« rief ich ihr nach, da sie sich schon wieder zum Gehen wegdrehte. Überrascht von meinem panischen Tonfall blickte sie mich mit großen Augen an.
»Ich . . . Entschuldigung . . . ich dachte nur, wir könnten vielleicht zusammen frühstücken? Wollen Sie sich nicht mit an unseren Tisch setzen?«
Ihre Überraschung schien nun noch größer. »Ich will nicht stören.«
»Aber nein, Sie stören doch nicht. Ich würde mich wirklich sehr freuen.«
»Und Ihre Freundin?« fragte sie mit einem Blick auf Olivia.
»Die ist bestimmt froh, wenn sie mal etwas Unterhaltung hat. Ich war bislang nicht wirklich angenehme Gesellschaft für sie, fürchte ich.«
Sie runzelte die Stirn wieder wie an dem Tag, als sie über dem Stadtplan brütete. Ich war mir im klaren darüber, dass ich Unsinn plapperte, doch sie konnte ja nicht ahnen, dass ich wegen ihr schlaflose Nächte und mürrische Tage verbrachte.
»So was passiert, wenn man unschuldige Touristinnen belauscht«, versuchte ich es mit einem Scherz. »Wenn man nicht aufpasst, sitzt man ein paar Tage später mit ihnen beim Frühstück.«
Als sie mich anlächelte, wusste ich, dass ich gewonnen hatte. Das Eis war gebrochen, und ich schmolz bei dem Anblick ihres Lächelns dahin.
»Olivia, ich hab etwas Unterhaltung mitgebracht. Darf ich vorstellen: Olivia, eine Bekannte von mir. Olivia, das ist . . .« Ich schaute die Fremde erwartungsvoll an. Zum einen, weil ich auf ihren Namen wartete, und zum anderen, weil ich gespannt war, ob sie merkte, wie ich eine Bekannte von mir betonte. Nicht meine Freundin , noch nicht einmal eine Freundin , einfach nur eine Bekannte .
»Kim«, stellte sie sich vor und reichte Olivia die Hand.
»Hallo«, antwortete Olivia freundlich. »Ich dachte schon, ich müsste mich heute mit meinem Frühstücksei unterhalten, weil dieser Brummbär da drüben kaum ein Wort herausbringt.«
Die zwei Frauen blickten mich erheitert an.
»Hat der Brummbär auch einen Namen?« wollte Kim von Olivia wissen.
»Du kennst noch nicht mal ihren Namen? Das sieht ihr mal wieder so ähnlich!« Dabei drehte sie mir demonstrativ die kalte Schulter hin. In Olivias Augen war ich nicht fähig, mit meiner Umwelt zu kommunizieren. Sie hatte keine Probleme, auf fremde Menschen zuzugehen. Ich hingegen sah keinen Grund dafür, warum ich mich wildfremden Menschen anbiedern sollte. Bei Kim war das anders . . . sie zog mich an und schüchterte mich gleichzeitig ein. Ich wollte in ihrer Nähe sein, doch wenn ich vor ihr saß, dann schaltete mein Gehirn auf lautlos.
»Sie heißt Annette«, klärte Olivia Kim gerade auf.
»Hallo, Annette.« Kim lächelte mich mit funkelnden Augen an, und ich wusste nicht so genau, ob sie sich über mich oder über Olivia amüsierte.
»Hallo, Kim«, sagte ich demonstrativ gelassen und streckte ihr dabei meine Hand hin. Um die Chance eines Händedruckes wollte ich mich auf keinen Fall bringen lassen. Ich war allerdings nicht darauf gefasst, was diese zarte Berührung ihrer Finger um meine Hand auslösen würde. Für einen Moment versank ich in ihren Augen, doch ich bemühte mich mit aller Gewalt, mich so schnell wie möglich davon zu lösen. Nach einem Räuspern sagte ich zu ihr: »Sehen Sie, ich habe doch gesagt, dass meine Bekannte sich freuen wird.«
»SIE?« Olivia schüttelte entgeistert den Kopf. »Ihr siezt euch? Was soll das denn? Zum einen sind wir im lockeren Amerika, und zum anderen . . . na ja, wir sind doch quasi eine Familie. Also wenn ich andere Lesben treffe, fühle ich mich immer sehr verbunden mit ihnen.«
Ich verschluckte mich an meinem Orangensaft, das Messer fiel auf den Boden und mein Kopf wurde knallrot.
»Olivia!« tadelte ich sie. Ich hatte mir zwar auch schon den ein oder anderen Gedanken gemacht, ob Kim lesbisch sein könnte, aber selbst wenn ich mir sicher gewesen wäre, ich hätte das nie
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