Traeume aus der Ferne
kurz vor sechs Uhr das Motel verlassen, um die Fremde zu sehen. Doch Olivia machte mir einen Strich durch die Rechnung. Sie war bereits wach, als ich aus der Dusche kam, und wollte mich diesmal bei meinem Spaziergang begleiten. Ich kam mir kindisch vor, ihr einzugestehen, dass ich eigentlich auf der Suche nach dieser Frau war, also verzichtete ich unter recht fadenscheinigen Argumenten auf die Möglichkeit, endlich einmal mehr als nur ein bis zwei Worte mit ihr reden zu können.
Beim Frühstück war der Blondschopf auch nicht zu sehen. Wahrscheinlich längst abgereist, stellte ich resigniert fest, als wir am zweiten Tag müde und erschöpft nach unserem Ausflug ins Motel zurückkamen.
Ich warf mich auf mein Bett und schaltete den Fernseher ein.
»Was ist los mit dir?« Olivia hatte sich auf das Bett gegenüber gesetzt und schaute mich nachdenklich an. »Du bist so komisch, seitdem wir hier sind. Als wärst du mit den Gedanken ganz woanders.«
Schlimm genug, dass Billy in mir wie in einem offenen Buch lesen konnte, ich brauchte das nicht auch noch von Olivia.
»Ach, weißt du, ich glaube, mir macht die Zeitverschiebung ein bisschen zu schaffen. Gib mir noch ein oder zwei Tage, dann bin ich wieder fit.«
»Keine Chance«, stellte Olivia bestimmt fest. »Ich gebe dir keine zwei Tage. Du ziehst dir jetzt deine Badesachen an, und dann gehen wir vor in den Pool und schwimmen uns den Dreck der großen Stadt vom Leib.« Lächelnd stand sie auf und fing an sich umzuziehen. Das sollte wohl heißen: Widerstand zwecklos.
Zehn Minuten später planschten Olivia und ich im hauseigenen Indoor-Pool. Offensichtlich hatte die Hauptsaison hier noch nicht begonnen, denn wir hatten den warmen Swimmingpool ganz für uns allein. Ich hatte mir vorgenommen, mir den Rest des Urlaubs nicht von der fremden Frau und den Träumereien von ihr vermiesen zu lassen. Ich wollte Olivia und mir einen unbeschwerten Urlaub bescheren, also alberte ich ausgelassen im Wasser herum. Wir tauchten uns gegenseitig, bespritzten uns mit Wasser und schnitten Grimassen, wenn wir dem anderen als Seeungeheuer auf die Pelle rückten.
Als ich mich schließlich verausgabt hatte, setzte ich mich noch ein paar Minuten in den Whirlpool.
»Ich habe genug für heute«, teilte ich Olivia mit. »Bleibst du noch?«
»Nein, ich komme auch mit zurück.« Dann paddelte sie im aufgewirbelten Wasser auf mich zu. »Ich fand den Abend wirklich toll!« Sie strahlte mich an und schlang die Arme zu einer freundschaftlichen Umarmung um mich. Dabei verlor sie aber das Gleichgewicht und landete ziemlich unelegant auf meinem Schoß, wobei sie mich gegen den Beckenrand drückte. Ihr verdutztes Gesicht brachte das Fass zum Überlaufen, und ich konnte mich vor Lachen kaum noch halten. Gerade als ich mich von Olivia löste und immer noch lachend aus dem Wasser steigen wollte, sah ich sie an der Tür stehen. Meine schöne Unbekannte. Ich lächelte sie an, doch sie blickte mir ernst, ja fast schon traurig in die Augen.
»Entschuldigt, ich wollte nicht stören«, flüsterte sie. Im nächsten Moment war sie verschwunden, und ich rieb mir verwundert die Augen. Hatte sie einen Eid abgelegt, nie mehr als einen Satz am Stück zu sprechen?
Wie sehr ich mich auch bemühte, doch nach diesem Vorfall war meine Laune wieder im Keller. Während Olivia Postkarten schrieb, lag ich im Bett und starrte aus dem Fenster. Warum hatte sie mich so traurig angeschaut? Konnte es etwa sein, dass sie eifersüchtig auf Olivia war? Aber wir kannten uns doch überhaupt nicht, hatten uns nur kurz gesehen. Ich fragte mich, wie ich mich fühlen würde, wenn ich sie in den Armen einer anderen Frau erwischen würde, und ich musste zugeben, dass mich diese Vorstellung tatsächlich mitten ins Herz traf.
Beim Frühstück fühlte ich mich verkatert. Ich hatte die ganze Nacht nicht geschlafen und nur Olivia zuliebe war ich nicht mit Mütze und Sonnenbrille zum Frühstück erschienen. Während Olivia sich mit Toast und Eiern den Magen vollschlug, nippte ich lustlos an meinem Kaffee.
»Hol dir wenigstens einen Orangensaft, wenn du schon nichts isst«, bat mich meine Reisepartnerin.
Ich überlegte kurz, kam aber zu dem Schluss, dass ein Glas Saft weniger anstrengend war als eine Grundsatzdiskussion zum Thema »Du bist nicht meine Mutter« mit Olivia.
Also stand ich auf, um mir ein paar Vitamine zu besorgen.
»Guten Morgen«, hörte ich eine vertraute Stimme neben mir. »Sie sehen mitgenommen aus. Anstrengende Nacht
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