Traeume doch einfach weiter
als Atelier
benutzen könnte. Dein Zimmer.«
Moment mal. WIE
BITTE?
»Das heißt, du
wirfst mich raus?« Vanessa hörte auf, mit den Miniaturfreiheitsstatuen
herumzuspielen, und starrte ihre Schwester entgeistert an. Sie wohnte bei Ruby,
seit sie fünfzehn war. Diese Wohnung war ihr Zuhause.
»Naja, du weißt
ja, dass das mit uns beiden immer eine vorübergehende Lösung gewesen ist. Eben
solange du noch auf der Schule warst. Aber jetzt hast du deinen Ab- schluss,
und es ist Zeit, dass du dein eigenes Ding machst. Ich bin auch mit achtzehn zu
Hause ausgezogen.«
»Okay, alles
klar«, schnappte Vanessa. »Kein Problem. Ich versteh schon. Ich bin erwachsen
und muss auf eigenen Füßen stehen. Ich habs kapiert.«
»Jetzt sei doch
nicht so«, flehte Ruby mit sichtlich schlechtem Gewissen. »Komm, wir setzen uns
ins andere Zimmer und reden in Ruhe darüber.«
»Nein, schon in
Ordnung. Ich pack nur schnell meine Sachen und verschwinde aus Pitabrots Augen,
oder wie auch immer dieser Typ heißt.« Am ganzen Körper zitternd, rannte sie
ins Wohnzimmer, wo Pizzafresse auf der Couch saß und seine faulig riechenden
tschechischen Zigaretten rauchte. Vanessa riss ihr selbst fotografiertes Bild
einer toten Taube von der Wand über seinem Kopf und klemmte es sich unter den
Arm. Es war ihr Lieblingsfoto, und sie dachte nicht daran, es hierzulassen, sonst
kam er am Ende noch auf die Idee, das Motiv für seine Bilder zu klauen. Sie
konnte es sich lebhaft vorstellen. Er würde als der Tote- Tauben-Maler berühmt
werden, obwohl es ihre tote Taube und ihre Wohnung war.
Ein paar Minuten
später stürmte sie mit ihrer Kameraausrüstung und einer riesigen vollgepackten
Reisetasche in den Händen die Treppe hinunter. Sie trat auf die von der
Nachmittagssonne überstrahlte Straße hinaus, wich im Stechschritt gleichgültig
blickenden, szenig gekleideten Passanten und Hundehäufchen aus und fragte sich
auf ihrem Weg nach Nirgendwo, was sie jetzt tun sollte.
Irgendwann ließ
sie ihre Reisetasche auf den Gehweg fallen und setzte sich drauf. Nach kurzem
Nachdenken zog sie ihr Handy aus der Tasche und tippte eine Nummer ein. Es klingelte
zweimal, bis sie Dans vertraute Stimme hörte.
»Was gibt's?«
»Meine Schwester
hat mich aus der Wohnung geschmissen.« Ihre Stimme zitterte, aber sie
versuchte, sich zusammenzureißen und nicht loszuheulen. »Und ich hab kein Geld
und weiß nicht, wohin ich gehen soll und was ich jetzt machen soll.«
Tja, sieht ganz
so aus, als müsste sie den Job bei Ken Mogul jetzt doch annehmen.
d hat eine erleuchtende begegnung
»Hey«, wisperte
Dan, nachdem er den Anruf auf seinem schwarzen Nokia entgegengenommen hatte. Er
befand sich gerade in seiner geliebten Buchhandlung, in der sich nur jemand
wohl fühlen konnte, der »Hamlet« so toll fand, dass er ihn gleich fünfmal
hintereinander verschlungen hatte. Um in Ruhe telefonieren zu können,
versteckte er sich hinter einem schiefen Metallregal. »Ich hab gerade an dich
gedacht.«
Er verstand
nicht, was Vanessa antwortete. Sie klang, als wäre sie den Tränen nahe.
»Komm, beruhig
dich erst mal«, sagte er sanft, zog einen Stapel Ronald-Reagan-Biografien aus
dem Regal und benutzte sie als Hocker. »Ich hab kein Wort verstanden.«
»Ich hab gesagt,
dass ich aus der Wohnung rausgeschmissen worden bin!«, brüllte Vanessa. »Ruby
ist zurück aus Europa und hat sich in irgendeinen Arschlochmaler aus Tschechien
verliebt und hat mir gesagt, dass ich mich verpissen kann.«
»Scheiße«, sagte
Dan leise und sah sich besorgt um. Eigentlich durfte er während der Arbeit
nicht telefonieren.
»Was soll ich
denn jetzt machen? Wo soll ich denn jetzt hin?«
»Wieso ziehst du
nicht einfach zu mir?«, fragte Dan, ohne nachzudenken. Er nahm eine staubige
Walt-Whit- man-Biografie in die Hand und überlegte, ob er sie mit nach Hause
nehmen sollte.
»Was? Zu dir?«,
schluchzte Vanessa. Dan konnte sich nicht erinnern, sie jemals so hilflos
erlebt zu haben, und obwohl er wusste, dass es nicht sehr edel war, genoss er
das Gefühl, stärker zu sein als sie.
Er war der
Machohengst und sie eine zerbrechliche, hilflose Maid. Er nahm sich vor, dieses
Gefühl bald mal in einem Gedicht zu verarbeiten.
reispapiergirl, ich bin diefeder, die tinte, das
fass...
»Ja, das wäre
doch das Beste, oder?«, tröstete er sie. »Pack deine Sachen, setz dich in die
U-Bahn und fahr zu mir. Die Tür ist nicht abgeschlossen, du weißt ja, dass mein
Vater sie immer offen lässt. Ich bin in
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