Träume in Kristall
auch dieses Mal war nur eben ein hübscher Fleck, hatten ja doch Mutter und meine älteren Schwestern immer wieder bewundernd mit ihren Fingerspitzen daran gerührt. Sollte es mir dabei nicht zur Angewohnheit geworden sein, auch selbst daran herumzuspielen?
Ich hatte mich zu Bett gelegt, und während ich das Muttermal betastete, versuchte ich, mich meiner Kindertage und meiner Jungmädchenzeit zu erinnern. Tatsächlich war es lange her, daß ich an dem Mal herumgespielt hatte. Wie viele Jahre mochten es sein? Jetzt, in dem Haus, in dem ich geboren wurde, und ohne auf irgend jemanden Rücksicht nehmen zu müssen, denn du lagst ja nicht neben mir, – jetzt würde ich nach Herzenslust daran herumspielen können. Aber es war nichts damit.
Kaum berührten meine Finger das Mal, so stiegen mir kalte Tränen auf.
Obwohl ich mir vorgenommen hatte, mich an früher zu erinnern, an die Zeit, da ich noch allein gewesen, – sobald ich in dieser Absicht das Muttermal berührte, warst allein du es, der mir ins Gedächtnis trat.
Ich habe mich eine schlechte Ehefrau schelten lassen müssen, und wahrscheinlich werde ich die Scheidung zu gewärtigen haben; daß ich dennoch, während ich in meinem Elternhaus im Bett an dem Muttermal herumspielte, mich so schmerzlich an dich erinnern würde, wäre mir nie in den Sinn gekommen.
Ich wendete das Kopfissen, das feucht geworden war … ja, und dann träumte ich sogar von jenem Muttermal.
In welchem Zimmer es war, wußte ich, nachdem ich aufwachte, nicht mehr genau; doch außer dir und mir war wohl noch irgendeine andere Frau dabei. Man hatte mir Reiswein eingeschenkt, und offenbar war ich schrecklich betrunken, Immer wieder hatte ich irgend etwas mit dir zu streiten. Währenddessen streckte ich, indem ich jener elenden Angewohnheit nachgab, wie sonst die linke Hand vorn über die Brust nach rechts zum Halsansatz aus, – aber was war das? Ich brauchte das schwarze Muttermal nur mit den Fingern anzufassen und konnte es herausnehmen. Als ob es nichts Natürlicheres gäbe, ließ sich das Mal ganz schmerzlos entfernen. Und dieses schwarze Ding in meinen Fingern fühlte sich an wie die Haut einer gekochten Bohne.
In einem Anfall kindischen Eigensinns bestürmte ich dich und sagte: »Nimm doch bitte meine schwarze Bohne und tu sie in den Beutel des Muttermals da neben deiner Nase!«
Ich preßte mein Muttermal, das ich in den Fingern hielt, gegen dein Muttermal, und dabei zerrte ich dich am Ärmel, klammerte mich an deine Brust und schrie und weinte.
Als ich aufwachte, war das Kopfissen abermals ganz naß. Ununterbrochen waren mir die Tränen gelaufen. Ich fühlte mich bis ins Mark erschöpf. Doch irgendwie war ich eine Last los, und mir war leichter. Sollte jenes Muttermal wirklich verschwunden sein? überlegte ich, eine Zeitlang blieb ich still lächelnd liegen. Und hinzufassen an die Stelle, wo das Muttermal saß, brachte ich nicht über mich.
Damit ist die Geschichte von meinem Mal zu Ende. Das Gefühl, als ob ich das schwarze Mal wie eine Bohnenschale gepackt hätte, habe ich noch jetzt in meinen Fingern.
Von dem kleinen Muttermal neben deiner Nase, ich
hatte kaum sonderlich darauf geachtet, war zwar nie die Rede gewesen, und doch hatte ich es also offensichtlich gut im Sinn behalten.
Was wäre das für ein hübsches Märchen: daß dein kleines Muttermal plötzlich aufzuschwellen begänne, weil du mein großes Muttermal hineingetan hast!
Und wenn du dann noch einen Traum von meinem Muttermal träumtest, – wie glücklich wäre ich da!
Bei dem Bericht über den Traum von jenem Mal habe ich doch eines zu schreiben vergessen. Zu meiner Angewohnheit, im Bett an dem Mal herumzuspielen, hast du gesagt: »Richtig jammervoll sieht das aus.« Und wirklich glaubte ich deinen Worten so sehr, daß ich dir für sie als für ein Zeichen deiner Zuneigung dankbar war. Meine ganze innere Erbärmlichkeit wird also wohl, dachte ich, in der Haltung deutlich, mit der ich an das Muttermal fasse, und ich kam mir so elend vor.
Wenn es sich jedoch, wie ich zuvor schon kurz andeutete, mit dieser Angewohnheit möglicherweise so verhielt, daß sie aus den zärtlichen Liebkosungen entstanden war, die mir von Mutter und Schwestern zuteil geworden, dann hätte ich, bildete ich mir ein, darin wenigstens so etwas wie eine rettende Stütze gehabt.
»Wie war das«, begann ich Mutter zu fragen, »hast du nicht ganz früher of mit mir geschimpf, wenn ich an dem Mal herumspielte?«
»Freilich. Und das ist
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