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Träume in Kristall

Träume in Kristall

Titel: Träume in Kristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasunari Kawabata
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Erleichterung. »Es ist mir nicht abzugewöhnen. Du mußt mir die Hände fesseln«, sagte ich, und dabei legte ich meine Hände wie betend zusammen und streckte sie gegen deine Brust. In einer Weise tat ich das, als wollte ich mich dir mit allem hingeben, was ich bin. Mit einem hilflosen und tief verlegenen Gesichtsausdruck löstest du meine Gürtelschnur und begannst mir damit die Hände zu binden.
    Deine Blicke, mit denen du mir zusahst, wie ich mit gebundenen Händen mein verwirrtes Haar ordnete, machten mich glücklich. Mir schien, als wäre nun die Angewohnheit, die ich so lange Zeit gehabt, tatsächlich verschwunden.
    Aber selbst in jenem Augenblick wäre es gefährlich gewesen, wenn irgend jemand nur ganz leicht das Muttermal berührt hätte.
    Ob du wohl deshalb, weil es sich auch danach nicht besserte, meiner schließlich ganz und gar überdrüssig wurdest? Wolltest du, ungeduldig geworden, mir etwa bedeuten: ›So tu doch, was du magst?‹ Ich mochte an dem Mal herumspielen, du sahst es und sahst es nicht und sagtest kein Wort mehr dazu.
    Da geschah etwas Seltsames: die Angewohnheit, die sich, wie ich auch gescholten, wie ich auch geschlagen wurde, nicht hatte kurieren lassen, war mit einem Male unversehens verschwunden. Aller Zwang war vergebens gewesen, ganz von selbst hatte sie sich verloren.
    »Es scheint, als faßte ich das Muttermal neuerdings gar nicht mehr an«, sagte ich, wie um mich zu besinnen; aber du brummtest nur und machtest ein teilnahmsloses Gesicht.
    ›Wenn es dir so gleichgültig ist, warum hast du denn dann eigentlich mit mir geschimpf?‹ wollte ich dich schon vorwurfsvoll fragen; indessen hättest du mich umgekehrt vielleicht gefragt: ›Und warum hast du es dir nicht früher abgewöhnt, wenn das so leicht war?‹ Doch du beachtetest mich überhaupt nicht.
    ›Angewohnheiten, die weder schaden noch nützen, sind mir‹ – so schien dein Gesichtsausdruck zu besagen – ›eine so egal wie die andere; spiel doch meinetwegen den ganzen Tag an deinem Muttermal herum, wenn es dir Spaß macht.‹ Wie mich das enttäuschte! Von neuem aufsässig geworden, versuchte ich vor deinen Augen das Mal zu berühren; seltsam indessen: es gelang mir einfach nicht, die Hand an jene Stelle zu führen. Ich wurde traurig. Ich begann mich zu ärgern.
    Dann versuchte ich, ohne daß du es merktest, das Mal zu berühren; doch wieder – was mochte das sein? – wie unschuldig ich auch tat, elend war mir zumute, und ich konnte die Hand nicht danach ausstrecken.
    Reglos schlug ich den Blick nieder und biß mir auf die Lippe.
    Ich tat, als wartete ich darauf, daß du sagtest: ›Na, was ist mit deinem Muttermal?‹ Aber das Wort ›Muttermal‹ existierte von nun an zwischen uns nicht mehr. Vermutlich sind zusammen mit ihm eine Menge anderer Dinge auch verschwunden.
    Warum nur hatte ich diese Angewohnheit nicht ablegen können, solange ich ihretwegen von dir gescholten wurde? Wirklich, ich bin eine schlimme Frau. Als ich jetzt in mein Elternhaus zurückkehrte und einmal zufällig mit Mutter gemeinsam ins Bad stieg, sagte sie zu mir: »Deine Figur, Sayoko, ist auch nicht mehr die beste, wie? Ja, gegen die Jahre kommt man nicht an.« Ich war erschrocken und sah sie an; aber Mutter war noch immer wie einst von einer schimmernd weißen Rundlichkeit.
    »Selbst das Mal hat seinen Reiz verloren.«
    Daß ich mit diesem Mal recht viel Kummer hatte, erzählte ich Mutter nicht; doch ich sagte: »Ja, das Mal da, – der Arzt, heißt es, könnte es mir leicht wegmachen.«
    »Was denn, der Arzt? – Na, eine kleine Narbe bliebe doch zurück«, meinte Mutter; sie nahm es leicht. »Wie of haben wir gesagt: ›Ob Sayoko noch an dem Mal herumspielt, nachdem sie verheiratet ist?‹ – und tüchtig gelacht haben wir darüber.« »Ja, ich habe daran herum gespielt.« »Das dachten wir uns.«
    »Eine üble Angewohnheit, nicht wahr? Kannst du dich erinnern, seit wann ich sie …«
    »Nun, in welchem Alter entstehen denn im allgemeinen solche Male? Mir scheint, bei Babies findet man sie kaum, nicht wahr?« »Meine Kinder wenigstens haben noch keine.«
    »So? Na, jedenfalls wachsen sie dann von Jahr zu Jahr. Kleiner werden sie nicht wieder. So ein großes freilich ist wohl doch eine Ausnahme. Wahrscheinlich hast du das schon von sehr früh an gehabt«, sagte Mutter und lachte, während sie meine Schulter betrachtete.
    In diesem Augenblick erinnerte ich mich: als ich noch ein kleines Mädchen war und noch eine unverdorbene Haut hatte, und

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