Traeume Suess, Mein Maedchen
hatte er sie zum ersten Mal geschlagen, sein Handrücken traf auf ihre Wange und löste zwischen ihren Ohren eine Reihe von Erschütterungen aus. Es durchfuhr sie wie Schüttelfrost. Sie schrie laut auf, worauf er sie erneut schlug, dieses Mal so heftig, dass ihre Lippe platzte. Wenn sie noch einen Mucks machte, erklärte er ihr, würde er ihr den Hals brechen wie einen Zweig und ihre Leiche am Straßenrand deponieren.
Danach war sie still.
Bei Berea, 9 200 Einwohner, kamen sie an dem ersten von einem halben Dutzend Polizeiwagen vorbei, denen sie im Laufe des Tages begegnen sollten, und Jamie hielt wie bei jedem folgenden Streifenwagen den Atem an und betete, dass er sie anhalten würde. Aber Brad hielt sich penibel an die Geschwindigkeitsbegrenzung, und ihre Reifen weigerten sich stur, Luft zu verlieren, sodass die Polizei keinerlei Notiz von ihnen nahm. Sie fuhren an den Ausfahrten Lexington, 241 800 Einwohner, Georgetown, 11 400 Einwohner, und Florence vorbei, das offenbar so wenig Einwohner hatte, dass sie einer Erwähnung nicht würdig waren, ungeachtet des gewaltigen Wasserturms, an dem in Riesenlettern der Name der Stadt prangte, bis sie Cincinnati, 1 820 000 Einwohner erreichten. »Wir sind fast da«, sagte Brad und verkündete beinahe schadenfroh, dass Dayton nur noch eine halbe Autostunde entfernt war. Da übergab sich Jamie zum dritten Mal. Diesmal wartete Brad, bis sie in ein heruntergekommenes Motel direkt südlich von Middleton, 46 000 Einwohner, eingecheckt hatten, bevor er sie wieder schlug.
Jamie ließ das Essen in den Schoß sinken und tastete mit dem Finger über die Stelle an ihrem Mund, wo er sie geschlagen hatte. Niemand hatte sie je zuvor geschlagen. Nicht ihre Mutter. Nicht Tim Rannells. Nicht einmal Mark Dennison.
»Hör auf, an deiner Lippe rumzuspielen«, erklärte Brad ihr, obwohl sie gar nicht gesehen hatte, dass er sich umgedreht hatte. »Sonst fängt sie wieder an zu bluten.«
Jamie ließ die Hand sinken, als Brad sich auf dem Bett neben sie robbte.
»Komm«, sagte er und beugte den Kopf in ihre Richtung. »Lass mich dich küssen, damit es besser wird.«
Jamie hielt den Atem an, als seine Lippen ihre streiften und sich in das zarte geschwollene Fleisch brannten wie Säure.
»Hast du schön aufgegessen?«, fragte er und blickte in ihre Papiertüte.
»Ich kann nicht mehr essen, Brad«, schluchzte sie leise. Bitte zwing mich nicht, noch mehr zu essen, flehte sie stumm.
»Das ist schon in Ordnung, Jamie-Girl«, tröstete er sie. »Sieht so aus, als hättest du ordentlich reingehauen für jemanden, der angeblich keinen Hunger hat.«
Jamie nickte dankbar. Sie hatte ordentlich reingehauen. Er war zufrieden mit ihr.
»Weißt du, was du meiner Ansicht nach jetzt machen solltest?«, fragte er plötzlich.
Jamie stockte der Atem, und sie wagte nicht zu fragen, was.
»Ich denke, du solltest deine Schwester anrufen.«
»Meine Schwester?«
»Du hast gesagt, dass du dich in ein paar Tagen noch mal melden würdest, und ich finde, das solltest du tun.«
»Du willst, dass ich meine Schwester anrufe?«, wiederholte Jamie ungläubig.
»Na ja, wahrscheinlich hat sie in den Nachrichten gehört, dass man der alten Hexe in Atlanta den Schädel eingeschlagen hat, und wir wollen doch nicht, dass sie auf komische Ideen kommt, oder? Deshalb solltest du sie anrufen und sie beruhigen.« Er suchte das Telefon und stellte es neben Jamie
auf den Nachttisch. »Sag ihr … sag ihr, du bist in Savannah - da wollte ich schon immer mal hin -, und dass es dort einfach wundervoll ist. Los«, wies er sie an und stellte ihr das Telefon in den Schoß. »Ich glaube, man muss eine Acht oder eine Neun vorwählen, um eine Amtsleitung zu kriegen.«
Jamie hob langsam den Hörer ab, wählte die Nummer ihrer Schwester und presste den Hörer ans Ohr. Was sollte sie ihr sagen, fragte sie sich. Wie konnte sie auch nur anfangen, von dem Schlamassel zu erzählen, in dem sie steckte?
»Denk dran, dass ich jedes Wort mithöre«, warnte Brad sie, zog sein Messer aus der Tasche und schwenkte es träge hin und her, bevor er sich an sie kuschelte.
Nach dem zweiten Klingeln wurde abgenommen. »Hallo?«, zwitscherte eine Kinderstimme.
Mit einem Knopfdruck ließ er die Klinge des Messers aufschnappen.
»Melissa?«, fragte Jamie mit Tränen in den Augen, als sie die Stimme ihrer dreijährigen Nichte hörte.
»Ja. Wer ist da?«
»Hier ist deine Tante Jamie, Schätzchen.«
»Wer ist da?«
»Hier ist Jamie«, wiederholte
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