Traeume Suess, Mein Maedchen
beantwortete.
Jamie sagte nichts. Brad hatte ihr am Morgen erklärt, dass er kein Wort mehr von ihr hören wollte, bis sie Ohio wieder verlassen hatten, andernfalls würde er sie umbringen, wie
er es schon gestern Nacht hätte tun sollen und auch getan hätte, wenn sie nicht beim Anblick des nahenden Messers in Ohnmacht gefallen wäre. Das hatte er aus irgendeinem Grund amüsant gefunden, wie er ihr erklärte, nachdem er sie wiederbelebt hatte, indem er ihr ein Glas kaltes Wasser ins Gesicht geschüttet hatte. »Du hast echt eine Menge Mumm«, hatte er gesagt. »Nicht besonders viel Grips«, hatte er lachend hinzugefügt. »Aber jede Menge Mumm.«
Das hätte ihre Mutter nicht besser ausdrücken können, dachte Jamie jetzt und fragte sich, was die arme Frau sagen würde, wenn sie ihre Tochter jetzt sehen könnte, die Augen zugeschwollen und blutunterlaufen, umrahmt von schuppigen dunkelvioletten Halbmonden, die blasse Haut fleckig, die Lippen aufgesprungen und von getrocknetem Blut verkrustet, die Arme voller Blutergüsse, mit einem von seinem Schlag immer noch schmerzenden Magen und einem von seinem Würgegriff wunden Hals. Warum hatte er sie nicht getötet, fragte sie sich. Welche schreckliche Rolle hatte er ihr in den kommenden Stunden zugedacht?
»Jetzt dauert es nicht mehr lange«, antwortete er, als hätte sie die Frage laut gestellt. »Sobald ich das Miststück allein erwische …«
Was geschieht dann, fragte Jamie stumm.
»Dann brauche ich deine Hilfe«, sagte er.
Und nachdem er sie umgebracht hatte? Würde Jamie als Nächste drankommen?
Er hatte die ganze Zeit gewusst, dass sie versuchen würde abzuhauen, hatte er ihr gestern Nacht erklärt, nachdem er die Tür mit genug Möbeln verbarrikadiert hatte, um sicherzugehen, dass er, selbst wenn er eindösen sollte - »was durchaus passieren könnte«, meinte er frotzelnd, »weil ich die ganze Nacht noch kein Auge zugetan habe« -, garantiert aufwachen würde von dem Lärm, den es machen würde, einen Tisch und zwei Stühle zu verrücken und was er sonst noch vor dem Ausgang aufgetürmt hatte.
»Du warst die ganze Zeit wach?«, fragte sie.
»Die ganze Zeit«, bestätigte er. »Wie soll man auch einschlafen, wenn du ständig aufstehst, dich hinlegst und wieder aufstehst? Ich habe mir gedacht, dass du mich auf die Probe stellen wolltest, und das stimmt ja wohl auch, aber ich kann dir sagen, ich bin ziemlich ungeduldig geworden, während ich gewartet habe, dass du dich endlich entscheidest, etwas zu tun. Du hast dich aufgerichtet, und ich dachte, okay, diesmal macht sie es wirklich, also war ich auf der Hut, obwohl ich natürlich darauf achten musste, weiter ruhig und gleichmäßig zu atmen, damit du denkst, ich wär im Land der Träume. So was lernt man im Knast. Im Gefängnis muss man nämlich wirklich jede Sekunde auf der Hut sein, also lernt man irgendwie, mit einem offenen Auge zu schlafen.« Er schüttelte versonnen den Kopf. »Jedenfalls fand ich, dass du es ziemlich schlau angestellt hast, auch wenn du natürlich keine Chance hattest. Ich fand es ziemlich clever von dir, sich mein T-Shirt überzuziehen, damit du nicht splitternackt rausrennen musstest, obwohl ich fast Eintritt gezahlt hätte, um das zu sehen, das kann ich dir sagen. Aber auch ziemlich clever von mir, meine Jeans so über den Stuhl zu hängen, findest du nicht? Ich wusste, dass du der Versuchung nicht widerstehen könntest, nach den Schlüsseln zu suchen. Es wäre vielleicht schlauer gewesen, direkt zur Tür zu laufen, obwohl ich dir versichere, dass du tot gewesen wärst, bevor du auch nur die Kette gelöst hättest. Deshalb ist es wahrscheinlich gut, rückblickend«, sagte er, das letzte Wort betonend, »dass du beschlossen hast, meine Tasche zu durchsuchen. Das hat dir wahrscheinlich das Leben gerettet. Das und deine Ohnmacht natürlich. Du bist unheimlich süß, wenn du bewusstlos bist.« Er hatte die Decke bis zu ihrem Kinn gezogen, sich angekuschelt und das Messer direkt hinter ihr linkes Ohr gelegt. »Und jetzt will ich kein Wort mehr von dir hören, bis wir Ohio verlassen haben, sonst muss ich dich doch noch umbringen.« Und dabei hatte
er gelächelt, so wie er auch jetzt lächelte. »Okay«, sagte er. »Ich sehe, dass du einen Haufen von Fragen hast, also werde ich nett sein und dir erlauben, ein paar davon zu stellen. Also - schieß los.«
Er irrte sich, dachte Jamie. Sie hatte nicht einen Haufen von Fragen. Sie hatte nur eine einzige. »Was erwartest du von mir?«
»Nun,
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