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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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die ratternde, bebende Brücke.
    »Mr. Albert war sehr nett.« Sie musste laut reden. »Wir haben versucht, ihm bei seinen Recherchen zu helfen.«
    »Bei welchen Recherchen denn?«, fragte John.
    »Recherchen«, sagte sie ausweichend. Sie lächelte und schob leicht vorgebeugt ihr Fahrrad. »Wir waren viele. Zehn oder zwölf. Wir haben Sachen gespielt.«
    »Und wusste meine Mutter von Ihnen?«
    Das Mädchen schaute verwirrt.
    »Aber wo haben Sie ihn kennengelernt?«, fragte John. »Warum hat er Ihnen sein Telefon gegeben?«
    Sie schien froh zu sein, die Geschichte erzählen zu können. »Ich habe auf einer Hochzeit getanzt. Ich arbeite für meinen Vater, er hat ein Sari-Geschäft. Es gab eine Hochzeit. Mr. Albert hat mich und die anderen Tänzerinnen um Hilfe gebeten. Er kannte eins von den anderen Mädchen. Vimala. Wir mussten Sachen spielen. Es war ein Theater. Sehr schön. Er wollte Mädchen, die keine Schauspielerinnen waren. Wir sollten Katastrophen verhindern.«
    »Wie bitte?«
    Jetzt ertönte ein Hupkonzert. Mitten auf der Brücke war eine Autorikscha liegen geblieben, und der Fahrer wechselte gerade ein Rad aus. Zwischen den Eisengittern zu beiden Seiten war nur noch knapp Platz für andere Fahrzeuge, die vorbei wollten. John war erstaunt über den Kontrast zwischen dem ungeduldigen Hupen und dem gelassenen Gesichtsausdruck des Fahrers. Als wären diese Menschen total hektisch, gleichzeitig aber im Einklang mit sich und der Welt. Der Rikschafahrer wechselte sein Rad ganz unbeeindruckt von dem Tumult, den er verursacht hatte. Johns Rikschafahrer blieb weiterhin ein paar Schritte hinter ihnen. Als John sich umdrehte, verzog er seine verfärbten Lippen zu einem extravaganten Lächeln.
    »Was meinen Sie mit ›Katastrophen verhindern‹? Und das Telefon?«
    »Oh«, sagte sie lachend. »Sie haben aber viele Fragen!«
    Während sie sich unterhielten, mussten sie ständig ausweichen, um Platz für die Fußgänger zu machen, die ihnen entgegenkamen. Auf der anderen Seite des Flusses wurde der Tag plötzlich zur Nacht, und von den Sandbänken am Ufer stiegen von leuchtenden Feuerstellen Rauchsäulen auf.
    »Albert wollte, dass wir Geschichten erzählen«, sagte das Mädchen, »und Tänze vorführen und Sachen spielen.«
    »Aber warum?«
    Sie zuckte die Achseln und blieb dann kurz stehen. Ihre Stirn legte sich in Falten. »Er hat immer so einen Ausdruck gebraucht. Ich habe ihn vergessen. Wir hatten Spaß mit ihm. Ich habe neue Freunde gefunden. Wir mussten eine Performance vorbereiten. Alle waren ganz aufgeregt. Dann ist Mr. Albert gestorben.«
    Die Brücke war gut 400 Meter lang. Sie gingen weiter, machten Platz für einen Mann mit einer Ziege. Noch so eins von Vaters anthropologischen Projekten, dachte John. Ich habe mehrere Hundert Pfund zum Fenster rausgeworfen, um ein dummes Mädchen zu treffen, das Dad in eins von seinen bescheuerten Projekten verwickelt hatte.
    »Die Leute sind wie tollwütige Hunde«, verkündete das Mädchen. Ihre Miene hellte sich auf. Wieder blieb sie kurz stehen. »Die Leute sind wie tollwütige Hunde. Das hat Mr. Albert gesagt.«
    »Tollwütige Hunde? Und weiter?«
    »Wir müssen sie daran hindern zu beißen.«
    »Und wie?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das war seine Recherche.«
    Als John ihren Blick auffing, sah er, dass sie selber nicht verstand, wieso sie dabei gewesen war. Höchstwahrscheinlich wollte sein Vater gar nicht, dass sie es verstehen.
    »Es hat uns Spaß gemacht.«
    Sie näherten sich dem Ende der Brücke. John sah einen Polizisten, der auf der Kreuzung, wo die Fahrzeuge von der Brücke auf die Uferstraße trafen, den Verkehr regelte.
    »Aber warum hat er Ihnen sein Telefon gegeben?«
    »Ich weiß nicht. Er hat gesagt, er würde wegfahren. Die Nummern deiner anderen Freunde sind in dem Telefon, hat er gesagt, falls ihr euch treffen wollt, wenn ich nicht da bin. Falls ihr mit der Performance weitermachen wollt.«
    Das Mädchen schaute John abwehrend an.
    »Also hat er Ihnen das Telefon gegeben, als ihm klar wurde, dass er sterben würde.«
    »Die Batterie ist nicht gut«, sagte sie. »Es funktioniert nur, wenn ich das Ladegerät benutzen kann. Im Laden meines Vaters. Und da gehe ich nicht jeden Tag hin.«
    Sie verließen den Übergang und betraten das Ufer. »Wir müssen uns jetzt verabschieden«, sagte sie. »Mein Vater kommt bald auf seinem Roller hier vorbei.«
    »Aber …« John schaute sich um.
    Sie betrachtete ihn und biss sich dabei mit ihren vorstehenden Zähnen auf

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