Traeume von Fluessen und Meeren
Gandhi-Frau plötzlich ein, dass sie noch eine Verabredung hatte. Der Engländer wischte sich den Mund ab und stand mit seiner Freundin auf: Er musste morgen sehr früh ins Büro. Der Dokumentarfilmregisseur war besorgt, er könne zu viel trinken, denn er musste noch Auto fahren. Das ältere Ehepaar, das, wie sich herausstellte, in der Wohnung über Helen wohnte, erklärte, sie beide seien müde. Alle verabschiedeten sich vor Mitternacht und bedankten sich ausgiebig bei Helen. Das Dienstmädchen und die ältere Köchin hatten abgewaschen und waren ebenfalls gegangen. Aber der Sikh blieb und blieb. Eine Flasche Whisky hatte sich gefunden, und der Mann trank reichlich davon. Helen fing ebenfalls zu trinken an. Sie wirkte aufgeregt.
Der Sikh fing an, geschmacklose Geschichten aus dem Krankenhaus zu erzählen, in dem er arbeitete. Ein junger Kollege, ebenfalls Sikh, hatte eine Einladung in die Staaten erhalten, von einem älteren amerikanischen Patienten, der ihn für Sex bezahlt hatte. »Ja, es war ein Mann!«, bestätigte Kulwant. »Er wollte von diesem jungen Arzt gefickt werden. Er hat einfach so gefragt. Würden Sie mich ficken bitte!« Kulwant ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen. »So ein Ferkel! Und der Kollege ist rübergeflogen, mit Frau und Kindern , und lässt sich gerade in Los Angeles nieder. Der Amerikaner schenkt ihm sogar ein Haus. Fürs Ficken! Diese Art der Globalisierung wird Indien vielleicht retten.«
Helen lächelte. Paul war verblüfft darüber, wie gelassen sie diese Art von Rede nahm.
»Kulwant arbeitet in einer Privatklinik, die kleinere Operationen in hoher Qualität für Ausländer anbietet«, erklärte sie. »Alles wird in Dollar, Euro oder Pfund bezahlt. Zusätzlich macht er ein paar Stunden freiwilligen Dienst bei uns in der Klinik, um seine Seele zu retten.«
Der Sikh knallte sein Glas auf den Tisch. »Weil ich lieber umsonst für die Armen arbeite, als in den Tempel zu gehen und zu beten. Ich sage immer zu meiner Frau, Guru Nanak wird mir vergeben, dass ich nicht in den Tempel komme, weil ich mich den Armen gegenüber wohltätig zeige. Meine Frau geht jeden Tag in den Tempel, den ganzen Tag.« Er schenkte sich noch einmal ein. »Trinken Sie und seien Sie glücklich, Herr Amerikaner! Wenn Sie glücklich sind, ist Gott auch glücklich! Wir alle sind glücklich.«
Es war schon eins, und der Mann wollte einfach nicht gehen. Helen war in eine nachdenkliche Stimmung verfallen. Wie viele, die normalerweise früh zu Bett gehen, schien sie jedes Zeitgefühl zu verlieren, sobald sie ihre Routine einmal durchbrochen hatte.
»Das hast du richtig gemacht mit dieser kleinen Party«, sagte Kulwant zu ihr. »Du brauchst Freunde. Du kannst nicht dein ganzes Leben damit verbringen, deinem verstorbenen Mann nachzutrauern. Gott hab ihn selig, und seinen edlen Geist. Trinken wir auf Mr. Gandhi«, erklärte er plötzlich und griff erneut zur Flasche.
In seiner Verzweiflung sagte Paul: »Helen, können wir über das Buch reden? Hast du gelesen, was ich dir geschickt habe?«
Sie schaute ihn an. Im ersten Moment schien sie nicht zu wissen, wer er war und wovon er sprach. Dann sagte sie: »Also gut, okay.« Und zu dem Sikh: »Kulwant, tut mir leid, aber du musst jetzt gehen. Ich muss mit Paul noch etwas Geschäftliches besprechen.«
»Das könnt ihr doch ruhig machen, wenn ich hier bin«, erklärte Kulwant fröhlich. »In solchen Dingen bin ichverschwiegen. Ich bin verschwiegen wie ein Grab. Wie zwei Gräber!« Er lachte.
»Bitte, Kulwant«, sagte Helen.
Der Sikh sah sie eindringlich an, dann stand er auf, zog seine weit sitzende graue Hose hoch, seufzte und lächelte. »Dann noch einen schönen Abend«, sagte er unnötig laut. »Und vielen Dank, Madam.«
»Oh, jetzt spiel doch nicht den Clown«, sagte Helen lachend.
Gleich nachdem sie ihn zur Tür gebracht hatte, kam sie zurück und sagte: »Bleib über Nacht hier, Paul, ja? Bitte.«
17
»Ich habe einfach Angst, jetzt nicht mehr schlafen zu können«, erklärte Helen. »Und dann würde ich die ganze Nacht mit Albert reden.«
Sie setzte sich an den Tisch und legte die Hände auf die hölzerne Platte. Der Amerikaner ging ihr auf die Nerven, und dennoch hatte sie ihn gebeten zu bleiben.
»Die Wohnung ist so leer«, fügte sie hinzu. Sie schüttelte den Kopf. »Allein die Vorstellung, dass ich eine Party veranstaltet habe, um mich auf andere Gedanken zu bringen!«
Paul war peinlich berührt. Als er beschloss, über Albert James zu schreiben,
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